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Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht
Autoren: Michael Siefener
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stärker. Die Katzen liefen die Palmatiusstraße in
Richtung Alkuinstraße entlang, blieben in einiger Entfernung
von Arved und Magdalena stehen und schauten sich nach ihnen um.
    »Wir sollten ihnen folgen«, meinte Arved und ging
los.
    »Wohin?«, fragte Magdalena.
    »Die Katzen scheinen es zu wissen.«
    »Nimmt das denn nie ein Ende?«, stöhnte Magdalena
matt. »Ich gebe es auf.« Sie setzte sich auf die Stufe, die
zur Haustür hochführte. »Ich habe Jürgen gefunden
und wieder verloren. Es wird endlos so weitergehen. Ewig. Alles ist
sinnlos.« Sie verbarg den Kopf in den Händen.
    Arved warf einen raschen Blick zu den Katzen hinüber, die
unentschlossen mitten auf der Palmatiusstraße standen, dann
hockte er sich vor Magdalena und sagte: »Nein, es ist nicht
alles sinnlos. Es ist nur sinnlos, wenn du aufgibst. Du kannst noch
gar nicht ermessen, was du für deinen Jürgen getan hast.
Aber damit du es wirklich begreifen kannst, müssen wir von hier
verschwinden. Endgültig. Wir müssen dorthin
zurückkehren, wo wir hingehören.«
    »Du gehörst hierhin. Du wohnst hier.«
    Arved stand auf und betrachtete das efeuüberwucherte Haus.
»Nein«, sagte er. »Komm. Ich bleibe bei dir, bis das
alles vorbei ist.« Er reichte ihr die Hand. Sie schaute zu ihm
auf und ergriff sie. Dann folgten sie den Katzen.
    Es war ein Weg, den Arved schon so oft gegangen war, doch jetzt
war er völlig anders. Noch immer waren keine Passanten auf der
Straße, aber immer öfter glaubte er Schemen am Rande des
Blickfeldes zu sehen. Er hörte Wispern, und manchmal hatte er
den Eindruck, als laufe er geradewegs durch eine Menschengruppe. Er
spürte Gefühle, roch Ängste und Hoffnungen, schmeckte
dunkle Gedanken. Doch da war noch anderes.
    Die Katzen führten sie die Paulinstraße entlang bis zur
Porta Nigra. Dort liefen sie einfach über die leere Fahrbahn der
Nordallee, unter der Porta Nigra hindurch, am Simeonstift vorbei, die
Simeonstraße entlang bis zum Hauptmarkt, wo die Katzen
plötzlich anhielten. Sie liefen nach rechts, nach links,
schienen nicht genau zu wissen, wohin sie sich nun wenden
sollten.
    Das Ziehen und Saugen war unerträglich geworden. Arved hatte
den Eindruck, als wolle ihm etwas das Herz aus der Brust
reißen. Inzwischen schien auch Magdalena dieses Saugen zu
verspüren. »Was ist das?«, fragte sie; es klang, als
rede sie mit sich selbst. Sie drehte sich um die eigene Achse, wollte
nicht stehen bleiben, wollte weitergehen, wollte weiter gezogen
werden, genau wie Arved.
    Schließlich hatten sich die Katzen entschieden. Sie bogen
vom Hauptmarkt in die Fleischstraße ein und wurden immer
schneller. Arved und Magdalena liefen hinter ihnen her.
    Und hinter ihnen lief etwas anderes her.
    Unterwegs drehte sich Arved mehrfach um. Und mehrfach sah er einen
Schemen in einem Hauseingang oder einem scheinbar offenen
Schaufenster verschwinden. Es waren nicht die nur undeutlich
wahrgenommenen Menschenmassen, durch die sie nun immer wieder
tauchten, sondern etwas anderes, etwas Einzelnes, etwas, das sie
verfolgte.
    Johannisstraße. Die Katzen wurden nicht müde. Immer
wieder drehten sie sich um. Arved keuchte und schnappte nach Luft.
Magdalena wurde immer langsamer. Rechts war das kleine Antiquariat,
an das sich Arved erinnern konnte. Der Weg zu Lioba Heiligmann.
    Hinter den Büchern im Schaufenster des Antiquariats schaute
jemand hervor. Er hatte einen grotesk großen Kopf – wie
eine nackte, rosige Kugel. Seine Hand, die auf einigen Büchern
ruhte, war mit Krallen bewehrt.
    Bald tauchte vor ihnen das Krankenhaus auf, neben dem die
Antiquarin wohnte. Die Katzen liefen die stille Straße hinunter
und blieben vor dem ersten der beiden Giebelhäuser stehen. Es
war in der Tat Liobas leicht heruntergekommenes Haus. Arved schaute
hinter sich. Magdalena folgte in einigen Metern Abstand.
    Und dahinter drückte sich etwas Großes, Unförmiges
unter ein überhängendes Hausdach. Arved spürte seine
Gegenwart. Es war wie ein Pesthauch aus einem bodenlosen Abgrund.
    Die Katzen kratzten an Lioba Heiligmanns Haustür. Arved
hastete die wenigen Stufen hoch; Magdalena hatte ihn inzwischen
eingeholt und drückte sich eng gegen ihn. Auch sie schien die
Gegenwart von etwas Fürchterlichem zu spüren. Arved sah
noch einmal zurück.
    Es versperrte den Blick. Nun versteckte es sich nicht mehr. Wie
ein Hochhaus ragte es auf. Es hatte keinen festen Umriss; es
veränderte andauernd seine Form. Als Arved es zum ersten Mal
deutlich sah, stockte ihm der Atem.
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