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Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht
Autoren: Michael Siefener
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Magdalena wollte sich umdrehen,
aber Arved hielt sie fest. »Nicht!«, schrie er. Er hingegen
konnte den Blick nicht abwenden; das Ding hypnotisierte ihn. Erst das
eindringliche Mauzen der Katzen brachte ihn wieder zur Besinnung.
    Er sah noch, wie das Ding allmählich näher kam; dann
drückte er gegen die Tür. Sie war nicht verschlossen.
    Aus dem Inneren des Hauses drangen Stimmen. Beschwörende
Stimmen. Eine davon war die von Lioba, die andere kannte Arved auch,
aber er konnte sie nicht zuordnen. Die Katzen stürmten in die
kleine Diele und von dort in das Zimmer, das rechts von ihr
abging.
    Die Bibliothek.
    Arved folgte ihnen. Das Saugen in seinem Innern war inzwischen
unerträglich geworden. Er stolperte in die Bibliothek und zog
Magdalena mit sich.
    Und das Unnennbare quoll ebenfalls durch die Tür hinter
ihnen; es drückte seine amorphe Masse in die Diele und
füllte sie ganz aus. Die Geräusche, die dabei entstanden,
waren entsetzlich. Arved sah Lioba in einem magischen Kreis stehen.
Sie hatte die Arme ausgebreitet. Neben ihr stand Ulrich Schwarz mit
einem uralten kleinen Buch in der Hand und rezitierte laut Worte, die
Arved nicht verstand. Auf der anderen Seite kauerte Thomas. Er hatte
die Augen aufgerissen, als er sah, was da herbeikam. Dort, wo Arved
nun stand, war es finster, doch kurz vor dem magischen Kreis begann
das Licht. Es fiel durch das Fenster und Arved konnte den blauen
Himmel erkennen. Ein ungeheures Verlangen überkam ihn. Dieses
Blau noch einmal sehen! Den letzten Schritt tun!
    Er machte einen Schritt über die Schwelle der Dunkelheit und
zog Magdalena mit sich. Dann überstürzten sich die
Ereignisse.
    Thomas sah schlechter denn je aus. Alles Blut war aus seinem
Gesicht gewichen. Er starrte ungläubig in die Dunkelheit,
streckte die Arme aus, taumelte aus dem Kreis.
    Hinter Arved rauschte es heran. Er spürte, wie ein Teil davon
ihn durchdrang. Er sah Bilder, die seine Seele zerrissen. Bilder von
Qualen, Bilder von Schrecken, Bilder von Hoffnungslosigkeit. Dann war
es an ihm vorbei und stürzte sich auf Thomas. Ein Schrei erhob
sich mitten aus der Masse; es war unmöglich zu sagen, ob er von
Thomas oder der grauenhaften Wesenheit kam. Dann, innerhalb einer
Sekunde, war alles vorüber.
    Thomas lag am Boden, mit grässlich verzerrten Gliedern und
starrem Blick. Er atmete nicht mehr. Lioba kniete sich rasch neben
ihn und fühlte seinen Puls. Sie schaute zu Arved auf. In ihrem
Blick lag eine seelenverzehrende Mischung aus Erleichterung und
Trauer. Ulrich Schwarz schloss das Buch und trat auf Arved und
Magdalena zu.
    »Willkommen zurück«, sagte er mit einer Stimme, die
aus einem bodenlosen Schlund zu kommen schien. Dann kniete auch er
neben Thomas nieder und betete für ihn.

 
33. Kapitel
     
     
    Nach der Beerdigung von Thomas Hieronimi saßen Lioba, Arved,
Ulrich Schwarz und Magdalena im Restaurant Postillion im
Erdgeschoss eines achtstöckigen, mit Marmortafeln verkleideten
Hochhauses gegenüber dem Friedhof zusammen und tranken ein Glas
Wein auf den Verstorbenen. Zuerst schwiegen sie gemeinsam; jeder hing
seinen Gedanken nach.
    Arved konnte noch immer nicht glauben, was Lioba ihm und Magdalena
erzählt hatte, nachdem sie in der Krahnenstraße wieder
aufgetaucht waren und Thomas während des
Beschwörungsrituals starb.
    Wie sich später herausstellte, hatte er einen Herzinfarkt
erlitten.
    Sein Lungenkrebs aber hätte ihm ohnehin nur noch wenige
Monate zu leben erlaubt. Er hatte gewusst, auf was er sich
einließ, denn wie Lioba mehrfach betonte, hatte er sich
freiwillig bereit erklärt, als Ritualopfer zu dienen.
    Arved hatte nur den Kopf geschüttelt. »Thomas hat an so
etwas nicht geglaubt«, sagte er im dumpfen Tabakqualm, der die
Kneipe durchzog.
    Lioba und Ulrich schauten ihn an. »Ich habe es Ihnen doch
schon erklärt«, sagte Lioba und richtete den Blick wieder
auf ihr halb volles Weinglas. Sie zog an ihrem Zigarillo und legte
eine Decke aus Rauch über das Glas. »Er hat wirklich nicht
daran geglaubt, aber er war ein Agnostiker. Er schloss nicht aus,
dass es wirken könnte. Und für Sie hat er sich bereit
erklärt, das Risiko auf sich zu nehmen.«
    Arved nahm einen Schluck Wein und ließ die goldgelbe
Flüssigkeit danach im Glas kreisen. »Es war nicht das
Ritual. Es war ein Herzinfarkt.«
    »Dem Obduktionsbefund nach ja«, gestand Ulrich.
»Aber du hast selbst gesehen, was zusammen mit euch durch den
Spalt gedrungen ist.«
    »Ich habe gar nichts gesehen«, gab Arved gereizt
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