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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold
Autoren: Heidi Rehn
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gestandene Kaufmann von Anfang dreißig, sondern wie der ungestüme Geselle von zwanzig Jahren, der Bäume ausreißen konnte. Wehmütig erinnerte sich Magdalena, wie rückhaltlos sie sich damals in ihn verliebt hatte. Selbst auf dem Sterbebett hatte sie ihrem Vater nicht versprechen können, von dieser Liebe zu lassen. Was hinderte sie in diesem Augenblick daran, sich in Erics Arme zu stürzen? Als erriete er ihre Gedanken, breitete er bereits einladend die Arme aus. Magdalena wollte zu ihm laufen, doch ihre Beine rührten sich nicht von der Stelle.
    An ihrer Stelle hüpfte Carlotta übermütig wie ein junges Zicklein los. Die rotblonden, zu zwei strengen Zöpfen gebändigten Locken flatterten munter um den kleinen Kopf. Noch auf dem Wagen hatte sie die ungeliebten Schuhe und Strümpfe abgestreift. Nackt lugten die Füße unter dem roten Rock hervor, aufjuchzend flog sie in die Arme ihres Vaters. Gemeinsam wirbelten sie zwei-, dreimal um seine Achse. Magdalena konnte den Blick nicht von ihnen wenden. Ein Stich fuhr ihr ins Herz. Vielleicht hatte Eric recht. In einer großen Familie mit vielen Kindern lag womöglich das wahre Glück. Sie sollte aufhören, sich dagegen zu stemmen.
    »Warum kommt Ihr ausgerechnet heute?« Die rundliche Alte watschelte auf krummen Beinen näher zu ihr. Magdalena wandte den Kopf und betrachtete sie. Die Frage klang aufrichtig besorgt. Von einem Moment zum anderen hatten die hellen Augen der Frau das unbekümmerte Leuchten verloren. Spärlich kräuselten sich graue Haarsträhnen auf der breiten Stirn. Das blütenweiße Kopftuch war eng um den runden Schädel gebunden. Schürze und Rock wirkten sauber, Hände und Unterarme waren rau geschrubbt. Kein Zweifel, die Köchin hatte sich alle Mühe gegeben, einen guten Eindruck auf die neue Herrschaft zu machen.
    »Warum nicht?« Noch während sie fragte, ahnte Magdalena, worauf die Frau hinauswollte. Die Alte aber kam ihr zuvor: »Mittwoch ist kein Tag, an dem man ein neues Haus bezieht. Mittwoch ist gar kein rechter Tag für irgendwas, am allerwenigsten für Neues. Reisen sollte man meiden, kein Brot backen und nicht aufs Feld hinausfahren. Auch sollte man an diesem Tag keine neuen Mägde oder Knechte dingen und nicht das Haus putzen.«
    »Und auch nicht heiraten«, ergänzte Magdalena und dachte mit Schrecken, dass sie diese Regel vor vierzehn Tagen erst missachtet hatte. Sichtlich beeindruckt trat die Köchin einen Schritt zurück. Magdalena musterte sie. Sie waren fast gleich groß. Die Lippen der Köchin waren ein wenig zu schmal und gerade für das volle Mondgesicht, vielleicht ein Hinweis, dass sie zur trüben Sicht auf die Dinge neigte. Dennoch strahlte sie Herzenswärme aus. Beruhigend legte Magdalena ihr die Hand auf die Schulter und fügte lächelnd hinzu: »Du vergisst, dass heute der Sommer in den Herbst übergeht. Der Durchzug der Jahreszeiten bedeutet immer Glück. Gerade heute ist noch dazu ein wichtiger Lostag und gleichzeitig der Tag des heiligen Matthäus. Was kann einem Kaufmann Besseres passieren, als an seinem Tag ein neues Geschäft zu beginnen? Genau das tut mein Gatte gewissermaßen mit dem Einzug in das Kontor seines verstorbenen Oheims.«
    Die Köchin zeigte sich besänftigt, allerdings weniger, weil die Worte sie überzeugten, als vielmehr, weil die neue Herrin gleich gewusst hatte, was es mit dem Mittwoch auf sich hatte. Magdalena dagegen spürte, wie ihr Unbehagen angesichts des Neubeginns in Frankfurt abermals zunahm.
    »Wie heißt du?«, fragte sie die Köchin, um sich auf andere Gedanken zu bringen. »Hedwig«, antwortete die rasch und sah sie offen an. Es war, als schaute sie tief in Magdalena hinein, die rasch den Blick abwandte und über den gepflasterten Hof schweifen ließ. An der rückwärtigen Seite befanden sich die Stallungen, links davon lagen ein kleiner Hühnerstall, das Waschhaus sowie die Küche. In der Ecke war ein überdachter Brunnen. Auf der rechten Hofseite schlossen sich weitläufige Lagerräume an. Zwei junge Mägde und zwei Knechte hatten unter Anweisung des mürrischen Bärtigen bereits begonnen, den Wagen abzuladen. Das Rufen und Singen überdeckte das Schweigen. Überrascht bemerkte Magdalena, dass weder Federvieh noch Katze oder Hund zu sehen waren. »Wo ist das Vieh, Hedwig?«, fragte sie.
    »Das haben Hermann und die anderen Knechte in der Früh fortgebracht und verbrannt.« Sie nickte zu dem Bärtigen hin. Das war also Hermann, der Verwalter von Haus und Hof, von dem Eric bereits
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