Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Heute Und in Ewigkeit

Titel: Heute Und in Ewigkeit
Autoren: Randy Susan Meyers
Vom Netzwerk:
besänftigend auf sie einredete. »Keine Angst, mein Kleines. Wir sorgen dafür, dass du deinen Daddy besuchen kannst. Versprochen.«
    Drei Monate später zitterte Merrys Hand in meiner, als wir die Stufen zum Duffy-Parkman-Heim für Mädchen hinaufgingen. Ich versuchte, mich stark und unbekümmert zu geben, während wir die endlose steinerne Treppe zu dem Kinderheim hochstiegen, und lauschte unseren lauten Schritten. Onkel Hal öffnete eine zerschrammte Holztür, und wir traten in einen großen Vorraum mit vielen Milchglastüren. Schartiger Marmor lag unter unseren Füßen. Das Gebäude schien so alt zu sein, dass ich mir vorstellte, wie einst Prinzessinnen durch diese Flure gewandelt waren.
    »Das wird schon, Mädchen, ihr werdet sehen«, sagte Onkel Hal.
    Na klar doch, Onkel Hal.
    Es würde nicht nur nicht werden, es würde absolut grauenhaft sein. Ich rechnete jeden Augenblick damit, dass Zombie-Schulmädchen in langen grauen Kleidern durch irgendeine Tür geschlurft kamen, aber der Flur blieb leer und still. Es war Montag, und die Mädchen waren wohl alle in der Schule. Onkel Hal hatte sich einen Tag freigenommen und allen seinen Zahnarzt-Patienten abgesagt, um uns hierherzubringen. Tante Cilla lag mit einem feuchten Waschlappen auf der Stirn im Bett und tat so, als seien wir ebenso tot wie Mama und Mimi Rubee, die einen Schlaganfall gehabt hatte und vor vier Wochen gestorben war. Seitdem hatten wir bei Tante Cilla und Onkel Hal gelebt.
    »Bitte, können wir nicht zu Oma Zelda?«, flüsterte Merry, als Onkel Hal uns auf eine Tür zuschob, auf der in dicken, unheilverkündenden Lettern VERWALTUNG stand.
    »Sie kann sich nicht um uns kümmern, und das weißt du auch, also hör endlich auf damit«, flüsterte ich zurück, als Onkel Hal nichts dazu sagte.
    »Wann bringt sie mich denn wieder zu Daddy?«, fragte Merry.
    Oma Zelda hatte Merry vor Mimi Rubees Tod einmal zu Daddy mitgenommen, und jetzt wiederholte Merry das ständig wie ein Mantra. Bringt mich zu Daddy, bringt mich zu Daddy, bringt mich zu Daddy. Jedes Mal, wenn sie das sagte, verabscheute ich die Worte noch mehr, und am liebsten hätte ich Merry so fest gekniffen, bis ich ihr den Wunsch, Daddy zu besuchen, einfach aus der Seele gekniffen hätte.
    »Wenn sie dich eben hinbringt«, sagte ich. »Jetzt sei still, sonst lassen sie uns nicht hier wohnen. Weißt du, was dann passiert?«
    Merry schüttelte den Kopf.
    »Dann müssen wir in der Gosse leben und uns Essen und Kleider stehlen«, sagte ich. »So ist das.«
    Ich wartete darauf, dass Onkel Hal mich ermahnte, doch er starrte nur die staubigen Bilder mit den Indianern an, die an der Wand hingen, zwischen einer Wanduhr und einer Reihe eingerahmter Zitate, mit blauem Faden auf vergilbten Musselin gestickt.
    Vielleicht würden wir am Ende tatsächlich in der Gosse landen. Vielleicht würden sie uns nicht hierbehalten, wenn wir nicht brav genug waren. Vielleicht würde Tante Cilla eines Tages die Daily News aufschlagen und feststellen, dass die Polizei unsere erfrorenen Leichen auf der Straße gefunden hatte.
    Ich will Joeys Mädchen nicht haben. Nicht in meinem Haus. Ich hatte gehört, wie Tante Cilla das nach der Beerdigung gesagt hatte. »Sie ständig um mich zu haben, zerreißt mir das Herz«, hatte sie der Gruppe unserer Verwandten zugezischt, die wir noch nie vorher gesehen hatten. »Meine Mutter ist tot, meine Schwester ist tot, alles nur wegen dieses Mannes. Und jetzt soll ich den beiden hier jeden Tag ins Gesicht sehen?«
    Merry und ich hatten Tante Cilla von der Tür ihrer makellosen Küche aus zugehört – wir waren die bravsten kleinen Mädchen in ganz Brooklyn und wollten gerade hineingehen und ihr anbieten, die Platten mit Bratenaufschnitt und Ochsenbrust, die Körbe voller Bagels und den Räucherlachs hineinzutragen, der wie ein öliges orangerotes Windrad aufgefächert war. Ob wir die Kekse aus den vielen weißen Schachteln von der Konditorei nehmen und sie auf Tante Cillas Silbertabletts arrangieren sollten, hatten wir höflich fragen wollen, um zu beweisen, was für wohlerzogene Mädchen wir waren. Weil Mimi Rubee tot war und Oma Zelda zu krank, um sich um uns zu kümmern, weil sie den Zucker hatte, wussten wir nicht so recht, wo wir in Zukunft leben sollten.
    Wenn wir ganz, ganz brav wären, würde Tante Cilla es sich vielleicht noch einmal überlegen und uns behalten.
    Ich musterte Merry und vergewisserte mich, dass sie sich auf dem Weg von Tante Cilla hierher zum Duffy-Heim nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher