Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Heute Und in Ewigkeit

Titel: Heute Und in Ewigkeit
Autoren: Randy Susan Meyers
Vom Netzwerk:
darüber. Anscheinend achtete niemand auf uns. Ich versuchte, mir nicht Mamas Füße unter uns vorzustellen. Sie lackierte sich die Zehennägel mit so leuchtendem Rot wie sonst keine Mutter in Brooklyn. Waren Reste davon noch an ihren Knochen?
    »Mama liegt jetzt unter dem Gras?«, flüsterte meine Schwester Merry.
    »Ihr Körper, ja«, sagte ich.
    »Sie hat sicher Angst«, sagte Merry. »Das muss doch furchtbar dunkel sein.«
    »Es ist, als würde sie schlafen.«
    »Wirklich?«
    »Ganz bestimmt.«
    Mimi Rubee kreischte, als der säuerlich dreinblickende Rabbi das weiße Tuch vom Grabstein zog. Merry und ich sprangen erschrocken zurück. Tante Cilla hielt Mimi Rubee am Ellbogen fest. »Ist schon gut, Mom. Sie ist jetzt an einem besseren Ort.«
    Mimi Rubees Lippen schürzten sich auf die Art, bei der es mir immer den Magen zusammenzog. »Einem besseren Ort? Sie ist an keinem besseren Ort.« Unsere Großmutter zeigte mit einem knochigen Finger auf das Grab. »Sie ist in dem finsteren Loch, in das dieser Bastard sie geschickt hat.«
    Merry schlang ihren klebrigen Arm um meinen, und ich ließ ihn, wo er war, obwohl mir furchtbar heiß war. Als ich an meinem Oberarm rieb, bildeten sich im Schweiß kleine Schmutzkügelchen. Ich wollte so gern etwas Kühles trinken. Es juckte mich überall, aber ich traute mich nicht, mich zu kratzen.
    Am liebsten hätte ich den Kopf an Mamas Grabstein gelehnt und mit dem Finger die Blumen nachgezeichnet, die um ihren Namen herum eingemeißelt waren: Celeste Anastasia Silver. Geliebte Mutter. Treusorgende Tochter. Liebende Schwester. Meinen Vater und seinen Nachnamen, Zachariah, unseren Namen, hatten sie aus dem Leben meiner Mutter gestrichen.
    Alles in der Welt tat weh.
    Zu Hause lehnte ich mich an den Türrahmen und sah zu, wie Merry sich an Mimi Rubee kuschelte. Die beiden lagen auf dem neuen Schlafsofa. Mimi Rubee hatte tief bekümmert ausgesehen an dem Tag, an dem die Männer es hereingetragen hatten. Ihr ganzes Gesicht hatte sich in Falten gelegt, als sie die mächtige Tweed-Couch angestarrt hatte, die sich an der Wand breitmachte, während die Männer ihr geliebtes modernes, funktionales Sofa wegbrachten – das Sofa, das Merry und mich gefoltert hatte. Die dünne Matratze bedeckte kaum die Metallstreben, die sich darunter kreuzten. Bis Mimi Rubee es endlich wegbringen ließ, hatten Merry und ich gelernt, wie man liegen musste, damit der Stahl nicht so wehtat. Wir hatten uns beigebracht, die Arme unter den Bauch zu ziehen und uns auf unnatürliche Weise zu verdrehen, um uns dem Bett anzupassen.
    Die vielen Leute in Mimi Rubees Wohnung überhitzten den sowieso schon warmen Raum. Tante Cillas Mann Hal drückte sich an sie, während sie unseren Cousin Arnie auf dem Schoß hatte. Arnie war ekelhaft. Er war neun Jahre alt und saß immer noch auf dem Schoß seiner Mutter wie ein kleines Baby.
    Die Leute überschütteten Merry mit Küssen und flehten sie beinahe an, sie zu umarmen. Dann nahmen sie mich beim Ellbogen, drückten ihn leicht, sahen mir in die Augen und fragten: »Wie geht es dir, Liebes?«, als wären wir die besten Freundinnen, obwohl ich gewettet hätte, dass sie mich nicht erkennen würden, wenn sie mich in ein paar Tagen auf der Straße träfen.
    Niemand war auch nur ungefähr in meinem Alter, bis auf Ar-nie, und da hätte ich lieber mit einem Leprakranken Händchen gehalten. Alte-Damen-Parfüms mischten sich mit den Essensgerüchen aus Mimi Rubees Küche, und ich musste würgen. Alle hatten viel zu viel von irgendetwas mitgebracht, als wäre Essen das Heilmittel gegen Traurigkeit. Mimi Rubees Schwester, unsere Tante Vivvy, trug gerade eine Platte mit Räucherlachs, Frischkäse, Bagels, kaltem Braten und Leberpastete herein.
    Ich schlüpfte ins Wohnzimmer und nahm einen dicken Keks mit Schokosplittern von einem Haufen auf einem Teller mit Goldrand. Ich versuchte, unsichtbar zu sein, setzte mich auf ein Kniekissen und bearbeitete meinen Keks wie ein Puzzle – ich wollte im letzten Bissen einen ganzen Schokosplitter übrig haben.
    »Und, was macht die Schule, Lulu?«, fragte Onkel Hal.
    »Geht so.«
    Mama hatte immer gesagt, Tante Cilla hätte Onkel Hal so sehr unter dem Pantoffel, dass wir ihn auch gleich Onkel Tante Cilla nennen könnten, aber zu mir war er immer nett. Von den beiden war er mir lieber.
    »Bekommst du immer noch lauter Einsen?«
    »M-hm.« Es war das Einzige auf der Welt, worauf ich mich verlassen konnte – dass ich gute Noten schrieb und bei den Lehrern
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher