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Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC
Autoren: Gunnar Decker
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der Schweiz jährlich etwa sechs Bestellungen kämen, aus
    Deutschland aber nur etwa ein oder zwei. So kam es dann doch
    nie zu einer Massenproduktion.

    Autojagd
    Was macht man im magischen ↑ Theater? Hesse hat seinem
    »Steppenwolf« Harry Haller sehr abgründige Träume erfüllt. »Auf
    zum fröhlichen Jagen! Hochjagd auf Automobile«, lautet die Auf-
    schrift an einer der Türen im magischen Theater, die Harry Haller
    begierig öffnet. Es reißt ihn hinein in eine »laute und aufgeregte
    Welt«: »Auf den Straßen jagten Automobile, zum Teil gepanzerte,
    und machten Jagd auf die Fußgänger, überfuhren sie zu Brei,
    drückten sie an den Mauern der Häuser zuschanden.« Was Hesse
    hier ausmalt, ist Ausdruck seines Rousseauismus, der Verteidi-
    gung des natürlichen Menschen gegen seine entfremdete Gestalt
    in der Zivilisation. Das Automobil gehört für Hesse zu den typi-
    schen Krankheiten dieser Zivilisation. Folgerichtig läuft im magi-
    schen Theater alles auf das eine hinaus: »Kampf zwischen
    Menschen und Maschinen, lang vorbereitet, lang erwartet, lang
    gefürchtet, nun endlich zum Ausbruch gekommen.« Die Welt der
    Maschinen simuliert das Leben, sie ahmt dessen Eigenschaften
    nach, aber es ist doch nur eine Scheinwelt, auch wenn die Auto-
    mobile husten, böse knurren und teuflisch schnurren. Sie bewe-
    gen sich, aber sie leben nicht! Sie sind tot, aber sie tun so, als ob
    sie lebten, und damit setzen sie sich an die Stelle des Lebens. Wir
    müssen sie vernichten, also machen wir Jagd auf die Autos,
    schießen sie ab wie tollwütiges Wild. Hesse zelebriert diese »Au-
    tojagd« geradezu, sie entspricht seiner Haltung: Technik ist nicht
    nur überflüssig, auch gefährlich. Darum muß man sie zerstören,
    lautet die anarchistische Botschaft, die uns an den Slogan der
    68er Bewegung erinnert: »Macht kaputt, was euch kaputt macht!«
    Die toten Autofahrer, die »Chauffeure« dieser zum Abschuß frei-
    gegebenen Automobile sind entseelte Produkte der Maschine, ihre
    bloßen Anhängsel. Aber dann fällt einem der gerade Exekutierten
    eine Visitenkarte aus der Brieftasche: »Tat twam asi.« - Das bist
    auch du! Der Terrorist wird schließlich das Opfer seiner selbst. Es
    ist nicht zufällig ein vormaliger Theologe, der hier am heftigsten
    eifert: »Es ist in der Tat gleichgültig, wie die Leute heißen, die wir da umbringen. Sie sind arme Teufel wie wir, auf die Namen
    kommt es nicht an. Diese Welt muß kaputtgehen und wir mit. Sie
    zehn Minuten unter Wasser zu setzen, wäre die schmerzloseste
    Lösung, an die Arbeit!« Das ist die Weltsicht von Berufsrevolutio-
    nären wie Putschisten, und wenn sich Terror gerade mit dem
    »Steppenwolf« rechtfertigen wollte, so spräche nur eines für ihn:
    oberflächliche Lektüre. Denn eines der Opfer fragt auf die recht
    agitatorische Rede der Autojäger »Wir machen die Autos jetzt ka-
    putt, alle, und die anderen Maschinen auch«, beherzt zurück:
    »Auch Ihre Flinten?« Das ist der kardinale Punkt für Hesse in aller
    Maschinenstürmerei, daß sie nur ein Teil der großen Apokalypse
    eines falschen Lebens ist. Der Ausweg? Für Hesse kommt er da-
    hergewandert, als Fußgänger mit einer Flasche Wein und Sonnen-
    schirm unter dem Arm flaniert er unbeeindruckt über das
    Schlachtfeld, das die Autojäger hinterlassen haben. Er ist der ein-
    zig Unbeschädigte, er, der die romantische Vita contemplativa
    gegen eine sinnlos gewordene Vita activa, die im Takt der immer
    schnelleren Maschinen vorwärtsgetrieben wird, behauptet.
    Dieser Wanderer, wer ahnt es nicht, ist Hesse selber. Das ist die
    Utopie des guten Beispiels, des richtigen Lebens, das nur führen
    kann, wer sich aus der Welt mit ihren falschen, von Maschinen
    diktierten Maßstäben zurückzieht: »Kaum hatten wir einen Men-
    schen zu Gesicht bekommen, der noch harmlos, friedlich und
    kindlich sich benahm, der noch im Stande der Unschuld lebte, da
    schien uns unser ganzes so löbliches und notwendiges Tun auf
    einmal dumm und widerlich. Pfui Teufel, all das Blut! Wir schäm-
    ten uns.« - Jedoch, wir hätten es fast vergessen, dies ist alles Teil
    des magischen Theaters, dem großen absurden Weltspiegel. Also
    keine gutgemeinten Treuherzigkeiten, keine Bekenntnisse be-
    kommen wir hier, sondern das alles ist nur auf einen fundamenta-
    len Punkt hingeschrieben: der Befreiung von den eigenen
    pathetischen Anwandlungen in ↑ lronie.
    Zuletzt zieht das Auto, im »Steppenwolf« noch Sendbote einer
    geradezu
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