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Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC
Autoren: Gunnar Decker
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verkörpern. Die Verschmelzung des
    Kleinsten und des Größten, des Geringsten und Erhabensten in
    dem »deus sive natura« - Gott ist in der Natur - eines Pantheis-
    mus. Alles ist göttlich, was Leben in sich trägt, denn alles, was
    lebt, strebt zum Licht und zur eigenen Vollendung. Hier spricht
    sich für Hesse das »Urgesetz des Lebens« aus: »Ein Baum spricht:
    In mir ist ein Kern, ein Funke, ein Gedanke verborgen, ich bin Le-
    ben vom ewigen Leben.« Die Form jedes Lebens ist einmalig, dar-
    um trägt es in sich die Tendenz, »im ausgeprägten Einmaligen das
    Ewige zu gestalten und zu zeigen«. Also symbolisieren Bäume die
    lebendige Einheit im Wechsel des Erscheinenden: die Heimat des
    Wanderers.
    Was Hesse über den Bruch mit seinem pietistischen Herkommen
    hinaus am Christentum für aufbewahrenswert hält, kommt Albert
    Schweitzers Grundgefühl christlichen Daseins nahe: »Ehrfurcht
    vor dem Leben«.

    Bekennen
    Hesse kann schwierige Dinge auf einfache Weise sagen. Aber er
    banalisiert dabei nicht. Weil sein Schreiben die eigenen Erfahrun-
    gen mit der geistigen Welt intensiviert. Hesse schreibt gern und
    häufig »Ich«, was ihm mancher, der nie »Ich« schreibt, gern als
    Hybris auslegte. Aber für Hesse gibt es keine andere Perspektive
    als die eigene. Und er hält es für redlich, darauf hinzuweisen, daß
    das, was er sagt, nicht den Anspruch der Allgemeingültigkeit in
    sich trägt. In diesem (und nur in diesem) Punkt ist Hesse Beken-
    ner: »Ich habe schon seit Jahren den ästhetischen Ehrgeiz aufge-
    geben und schreibe keine Dichtung, sondern eben Bekenntnis, so
    wie ein Ertrinkender oder Vergifteter sich nicht mit seiner Frisur
    beschäftigt oder mit der Modulation seiner Stimme, sondern eben
    hinausschreit.«
    Ein Schrei ist zutiefst subjektiv, und doch, wie in Edvard Munchs
    Ur-Bild »Der Schrei«, drängt mit ihm immer auch etwas Überper-
    sönliches hervor. Dieses augenblickshaft-ekstatische Ineins von
    Ich und Welt teilt Hesse mit den Mystikern aller Zeiten: die Suche
    nach der Welt auf dem Grunde des Ich. Und uns läßt es teilhaben
    an den Selbsterforschungen, die alle Texte Hesses sind. Natürlich
    werden es so auch Welterforschungen, aber immer in erfahrbarer
    individueller Form. Den Anspruch, daß jeder gute Text auch ein
    Stück Autobiographie sein muß, Selbst-Offenbarung also, teilt
    Hesse mit Augustinus, Rousseau, Nietzsche oder Strindberg. Na-
    türlich zwingt jede Offenbarung auch zum Verbergen. Der Künstler
    zeigt sein Gesicht unter wechselnden Masken. Nietzsches »Ver-
    wechselt mich vor allem nicht!« ist eine Beschwörung, die aus der
    Ohnmacht des Mißverstandenen kommt. Ein echter Künstler er-
    scheint nur in dem Maße als ein Prediger, in dem er ein Spieler
    ist. Er ist und bleibt – auch als Bekenner – ein Meister der flirren-
    den Zwischenräume, nicht des Entweder-Oder, sondern des So-
    wohl-Als-auch. »Der Haken liegt darin, daß wahrscheinlich das
    Bekenntnis des Künstlers, einerlei welchen Sinn es ihm bewußt
    unterlege, niemals reine Beichte ist! Die reine Beichte ist einfach
    das Ausbrechen gärender Säfte, ist Entledigung, Entäußerung,
    Lüftung. Das künstlerische Bekenntnis dagegen neigt stets und
    unfehlbar nach der Selbstrechtfertigung.«
    Hesse bleibt als Erzähler kenntlich, noch da, wo er sich am stärk-
    sten zu verbergen sucht (in seinen Legenden ↑ » Siddhartha« u nd
    »Das ↑ Glasperlenspiel«). Er ist als Künstler Bekenner, so wie seine Eltern es auf ihre Weise als pietistische Missionare waren. Deren
    bornierte Militanz hat ihn abgestoßen, davon mußte er sich
    gründlich befreien, um auf ganz andere, souveräne Weise als ein
    Freier zurückkehren zu können, zur Hochachtung des geschriebe-
    nen Wortes, zur Verehrung des Göttlichen noch im Kleinsten und
    Unwürdigsten – und nur dort.
    Sein unbedingter Wille zur Selbsterforschung, der über allen Par-
    teien, Ideologien und Moden (auch der wechselnden Hesse-
    Moden) steht, macht ihn zum Begleiter - nicht Lehrmeister! - bei
    unserer eigenen Suche.

    Benn, Gottfried
    Von Benn stammt eine der abfälligsten Wertungen über Hesse in
    den an abfälligen Wertungen über Hesse reichen vierziger und
    fünfziger Jahren. Benn nennt Hesse 1946 in einem Brief einen
    »kleinen Mann«, der als ein Vertreter deutscher Innerlichkeit sich
    schon kolossal vorkomme, wenn irgendwo ein Ehebruch erlitten
    oder gestartet werde. »Spezi von Thomas Mann. Daher der No-
    belpreis, sehr treffend und passend
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