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Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC
Autoren: Gunnar Decker
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Tempel, setze mich über der Araukarie auf eine Treppenstufe,
    ruhe ein wenig, falte die Hände und blicke andächtig hinab in die-
    sen kleinen Garten der Ordnung, dessen rührende Haltung und
    einsame Lächerlichkeit mich irgendwie in der Seele ergreift. Ich
    vermute hinter diesem Vorplatz, gewissermaßen im heiligen
    Schatten der Araukarie, eine Wohnung voll von strahlendem Ma-
    hagoni und ein Leben voll Anstand und Gesundheit, mit Frühauf-
    stehen, Pflichterfüllung, gemäßigt heitern Familienfesten,
    sonntäglichem Kirchgang und frühem Schlafengehen.«

    Arnold, Gottfried
    Es ist Hugo Ball, der darauf verweist, daß Lebensart und Ästheti-
    zismus schnell mit etwas Drittem in Konflikt geraten: dem Pro-
    blem des ↑ Heiligen . Der junge Hermann Hesse hat Paul Sabatiers Franziskusbuch (1893) gelesen. In seinem ↑ » Peter Camenzind«
    spiegelt sich franziskanische Naturfrömmigkeit, die Hesse lebens-
    lang fasziniert. Aber so viel Sinn für Religion (Gefühl für das Er-
    habene und Unbedingte) Hesse auch in starkem Maße besitzt, so
    energisch ist er in der Abwehr jeglichen Dogmas. Darin trifft er
    sich mit dem jungen Goethe, der, als er 1768 krank und deprimiert
    aus Leipzig nach Frankfurt zurückkehrt, Gottfried Arnolds »Unpar-
    teiische Kirchen- und Ketzerhistorie« in die Hand bekommt. Das,
    was er darin liest, ist ihm noch Jahrzehnte später so wichtig, daß
    er im 8. Buch von »Dichtung und Wahrheit« vom großen Einfluß
    schreibt, den er durch Arnolds Buch erfahren habe: »Der Geist des
    Widerspruchs und die Lust zum Paradoxen steckt in uns allen. Ich
    studierte fleißig die verschiedenen Meinungen. Und da ich oft
    genug hatte sagen hören, jeder Mensch habe am Ende doch seine
    Religion, so kam mir nichts natürlicher vor, als daß ich mir auch
    meine eigene bilden könne, und dieses tat ich mit vieler Behag-
    lichkeit.« Die Wahrheit dieser frei gewählten Religiosität wird für
    Hesse gelebt, niemals aber doziert.

    Asien
    Hier leben die größten Hermann-Hesse-Fans, seine – nicht nur
    zahlenmäßig – eifrigsten Leser. Woran liegt das? Hesse selbst hat
    es angedeutet: »Für asiatische Denker nun, welche Meister der
    Synthese sind, ist es gewohntes und bis zu hoher Vollendung ge-
    züchtetes Geistesspiel, entgegengesetzte Betrachtungsweisen ab-
    wechselnd zu üben, beide bejahend, beiden zustimmend.« (»Geist
    der Romantik«, 1926) Wer sich so verstanden fühlt, liebt aufrichtig
    zurück. In »Kindheit eines Zauberers« (1923) stellt Hesse die östli-
    che Weisheit gleich an den Anfang seines Weges: »Nicht von El-
    tern und Lehrern allein wurde ich erzogen, sondern auch von
    höheren, verborgeneren und geheimnisvolleren Mächten, unter
    ihnen war auch der Gott Pan, welcher in Gestalt einer kleinen,
    tanzenden indischen Götzenfigur im Glasschrank meines Großva-
    ters stand.« Das Morgenland, es hält als romantischer Traum Ein-
    zug ins kindliche Dichtergemüt. Natürlich ist die Realität in Japan
    oder Korea gar nicht so harmonisch, wie sie es nach den buddhi-
    stischen Harmonievorstellungen sein müßte. Das moderne »Im-
    mer schneller, immer effektiver« widerstrebt der Tradition.
    Insofern findet sich der asiatische Leser in Hesses harter Zivilisa-
    tionskritik des »Steppenwolfs« unbedingt wieder. Hier wird Hesse
    zuerst als Stärkung des Einzelnen inmitten einer Zeitsituation ver-
    standen, die es dem Einzelnen zunehmend unmöglich macht,
    sinnreich in der Tradition zu wurzeln. Die Utopie einer Versöh-
    nung von Tradition und revoltierendem Einzelnen macht die Aura
    von Hesses Büchern aus. In Asien scheint man sie besonders in-
    tensiv zu empfinden – und zu teilen. Hesse korrespondiert bestän-
    dig mit dem östlichen Denken, wie er 1919 in einem Brief an Alice
    Leuthold bekennt: »Ich bin seit vielen Jahren davon überzeugt,
    daß der europäische Geist im Niedergang steht und der Heimkehr
    zu seinen asiatischen Quellen bedarf. Ich habe jahrelang Buddha
    verehrt und indische Literatur schon seit meiner frühesten Jugend
    gelesen. Später kamen mir Lao Tse und die anderen Chinesen
    näher. Zu diesen Gedanken und Studien war meine indische Reise
    bloß eine kleine Beigabe und Illustration, mehr nicht.«
    Aber die Liebe Hesses zur östlichen Weisheit hat auch ihren Grund
    in der Asiennähe aller Romantik. Denn sie stellte Morgenländi-
    sches gegen ein klassizistisch vergötztes Griechenlandbild, eben-
    so wie Goethe seinen »West-östlichen Divan«. Schopenhauer
    eröffnete mit
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