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Herzgespinst - Thriller

Herzgespinst - Thriller

Titel: Herzgespinst - Thriller
Autoren: C. Bertelsmann
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Nach kurzer Zeit hatte ihm der Felsen nicht mehr gereicht, er war weitergeklettert und hatte einen noch höheren entdeckt, Luna hatte ihn im Gegenlicht der gleißenden Mittagssonne nur noch wie eine winzige Figur oben stehen sehen, lachend und winkend. Mit einer Art Urschrei war er abgesprungen, in der Luft wild mit Armen und Beinen rudernd, einen Salto versuchend, bis er im Wasser aufkam.
    Das Geräusch des Aufpralls. Anders als sonst. Die Stille danach. Kein Auftauchen. Kein Jubeln und hastiges Ausschütteln der Haare am Strand, um gleich noch einmal zu springen. Keine glitzernden Tropfen auf sonnengebräunter Haut, nicht wie sonst Thores breites Lachen, nie mehr. Nie mehr von jenem Moment an, nie mehr in Zukunft.
    Türkisfarbenes Meerwasser, das sich langsam verfärbte, unwirklich, sich erst langsam verdunkelte, gelblich, einfach nur dunkler, trüber wurde, und dann rot. Der Körper, der an die Oberfläche trieb, reglos und stumm. Thores Körper. Auch unter Wasser hatte es Felsen gegeben, Thore hatte es nicht überprüft, er war einfach gesprungen.
    Das Geschrei ringsum, die Aufregung der anderen, Lunas Erstarrung, Geräusche und Bewegungen wie im Nebel, trotzdem hatte sie Fragen beantwortet, mit den Eltern telefoniert, den Wagen mit dem Blaulicht wegfahren sehen, das fremd klingende Martinshorn gehört, obwohl jeder wusste, dass es zu spät war. Der Beistand einer Betreuerin, die kaum älter war als Luna selbst und voller Angst, weil sie doch die Verantwortung für die Campinggäste hatte. Thore war volljährig gewesen, erwachsen. Trotzdem.
    Die Heimreise im Flugzeug, keine fünf Tage der drei Urlaubswochen waren vorbei, die Überführung der Leiche, die erstarrten, grauen Gesichter der Eltern, schließlich die Trauerfeier. Das viele Schwarz, weiße Blumen, das Geräusch verhaltenen Schluchzens in der Kapelle, das Schnäuzen in Hunderte von Taschentüchern, hinterher hieß es, es war schön zu sehen, wie viele Menschen Thore geliebt haben. Seitdem ist Luna allein.
    Ihr Handy vibriert in der Umhängetasche, Luna öffnet den Schiebemechanismus, das Display blendet fast in ihren Augen. Eine SMS von ihrer Mutter. Luna antwortet, es gehe ihr gut und sie sei schon weit gekommen mit dem Einrichten, wolle jetzt ins Bett gehen. Von der Party muss Mutter nichts wissen, eine Party passt noch nicht. Als die SMS gesendet ist, öffnet Luna ihr Fotoalbum. Thore. Das letzte Foto von ihm, beim Essen am Abend vor dem Unfall, es hatte gegrillten Fisch gegeben, er hält seinen auf die Gabel gespießt in die Höhe, mit leuchtenden Augen, als hätte er den Fisch selbst gefangen. Thores Haare waren noch nicht ganz trocken, wie immer war er länger im Wasser geblieben als alle anderen, war beim Sonnenuntergang noch einmal schwimmen gegangen, hatte danach nur eilig sein T-Shirt wieder übergestreift, statt wie die meisten anderen erst zu duschen, um das Salz von der Haut zu bekommen. Am Tag darauf hatte Luna keine Fotos mehr gemacht. Wie oft hat sie dieses schon angestarrt, seit Thore tot ist, und doch öffnet sie es immer wieder, um zu begreifen, um ihn zurückzuholen, um in seinem lachenden Gesicht eine Antwort zu finden auf all die Fragen, die immer wieder in ihr auftauchen.
    Luna weiß nicht, wie lange sie so gesessen ist, mit der Zeit ist ihr Blick von Thores Bild abgeschweift und in dem dunklen Raum umhergewandert, hat die Umrisse der Möbel abgetastet. Erneut spürt sie ihre Müdigkeit und den langen Tag, der hinter ihr liegt, die ganzen schrecklichen Wochen und Monate. Ganz kurz nur die Augen zumachen, denkt sie; dann bin ich bestimmt gleich wieder fit und schleiche mich wieder rüber. Nicht, dass Sarah irgendwann gehen will und denkt, ich sei schon weg, weil sie mich nicht findet. Luna weiß nicht mal, ob Sarahs Jacke auch hier in diesem Zimmer liegt.
    Als sie kurz darauf wieder hochschreckt, nimmt sie in einer Ecke eine Bewegung wahr und zuckt mit einem leisen Aufschrei zusammen, erkennt die Umrisse eines Mannes, der sich über das Bett beugt und den Kleiderhaufen durchwühlt. Auch der Mann hält in seiner Bewegung inne, noch immer leicht gebeugt, den Oberkörper zu ihr gewandt.
    »Entschuldigung«, sagt er, und Luna ist überrascht von seiner tiefen, warmen Stimme. »Ich … habe nicht bemerkt, dass hier noch jemand ist.«
    Luna steht auf, der Ohrensessel knarrt leise, als sie sich erhebt. »Das macht nichts«, sagt sie und streicht sich die Haare glatt. »Ich wollte gerade gehen.« Sie blickt unschlüssig im Zimmer umher,
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