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Herzflimmern

Herzflimmern

Titel: Herzflimmern
Autoren: Barbara Wood
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vernünftig überlegen. Ich bin völlig unentwickelt. Ich bin entweder der Anfang oder das Ende von etwas. Ich weiß nicht, was, und das verschlimmert die Angst noch; die Angst vor dem, was auf mich zukommt, wozu ich mich entwickeln werde, oder die Angst, daß alles hinter mir liegt, und es nun ewig so bleiben wird.«
    Ruth umklammerte mit beiden Händen die Sessellehnen.
    »Sie können sich das Grauen nicht vorstellen, das Entsetzen darüber zu wissen, daß ich bin und doch nicht bin.«
    {319}
    Sie hob den Kopf und sah Margaret Cummings an. »Das ist alles. Damit ist der Traum zu Ende.«
    Margaret sah sie ruhig an. »Was, glauben Sie, hat er zu bedeuten?«
    »Ich weiß es nicht. Oder doch, warten Sie. Er muß bedeuten, daß ich mich als etwas Ungeformtes sehe. Entweder noch nicht geboren oder tot. Ich weiß nicht, welches von beiden. Ich weiß nur, daß ich abends Angst habe, zu Bett zu gehen.«
    Eine Weile schwiegen sie beide, dann sagte Margaret Cummings: »Ruth, schreiben Sie die Träume auf. Jedesmal, wenn Sie den Traum haben, schreiben Sie ihn auf. Lassen Sie nichts aus. Auch wenn Sie glauben, daß Sie immer wieder nur dasselbe schreiben. Schildern Sie jedes Gefühl und jede Empfindung, die Sie im Traum hatten, und schreiben Sie dann auf, wie Sie sich nach dem Erwachen fühlten.«
    »Glauben Sie nicht, daß das ziemlich eintönig wird?«
    Margaret lächelte. »Wenn sich auch nur die kleinste Abweichung zeigt oder nur ein einziges neues Detail, könnte uns das etwas verraten.«
    Ruth sah auf ihre Uhr. Es war noch früh am Nachmittag. In der Praxis warteten keine Patienten auf sie und auch nicht in der Klinik. Da lag zwar immer noch dieser fürchterliche Stapel Post an Dr. Ruth, aber der konnte warten. Sie drehte den Kopf zum Fenster und blinzelte in die Sonnenstrahlen. Ein schöner Tag für einen Spaziergang.
    Gleichzeitig mit Margaret stand sie auf.
    »Nächste Woche kann ich nicht kommen, Margaret«, sagte sie auf dem Weg zur Tür. »Ich fliege für ein paar Tage nach Los Angeles zu Freunden. Vielleicht tut mir der Tapetenwechsel ganz gut. Vielleicht rückt das meine Perspektive wieder zurecht.«
    »Versuchen Sie, es zu genießen, Ruth.«
    Ruth lächelte. »Und wenn mir endlich ein Freud’sches Licht aufgehen sollte, lasse ich es Sie wissen.«
     
    Ruth war schon lange nicht mehr auf dem Markt in der Pike Street gewesen und nie allein. Immer hatten die Mädchen gezogen und gedrängt, wollten hierhin und dorthin, hatten ihr keine Ruhe gelassen. Sie fühlte sich beschwingt und befreit, wie sie so ganz allein zwischen den Ständen und Läden herumwanderte.
    Bis sie plötzlich vor der Galerie stand.
    Lange blickte sie durch die dicke Glasscheibe des Schaufensters; Vorüberkommende mochten glauben, daß sie die ausgestellten Objekte musterte – die großen Tetems, die gefiederten Speere, das große Ölgemälde eines Zeltdorfs am Fluß. Tatsächlich versuchte sie, in das Innere hineinzusehen, {320} ohne den Laden betreten zu müssen. War
sie
jetzt dort drinnen? Angeline, die Tongefäße am laufenden Band produzierte? Wie war Arnie hierher gekommen? Was hatte ihn zuerst interessiert – die Galerie oder das Mädchen?
    So angestrengt Ruth in das Fenster hineinspähte, sie sah nichts als ihr eigenes Bild; eine kleine dunkelhaarige Frau, der man ihre vierzig Jahre ansah.
    Warum sollte ich hineingehen? Aus welchem Grund?
    Aus dem gleichen Grund, aus dem jede Frau die ›Andere‹ sehen möchte: um festzustellen, was sie hat, das ich nicht habe.
    Noch als sie die Tür öffnete und eintrat, gab sie Arnie die Schuld. Er war schuld, daß sie sich so tief herabließ. Eine Lüge war das, hier hereinzukommen und so zu tun, als wolle man etwas kaufen. Sie wußte, sie würde sich hinterher ganz scheußlich fühlen. Auch das würde Arnies Schuld sein.
    Die ausgestellten Objekte waren schön; es waren mehrere darunter, die Ruth gern gehabt hätte. Die rostfarbene Batik im runden Rahmen zum Beispiel, die irgendeinen indianischen Geist mit großen Augen und zackigen Raubtierzähnen darstellte. Über dem Kamin nähme sie sich großartig aus. Warum hatte Arnie nicht lieber so etwas gekauft statt der Gefäße? Weil Angeline die Gefäße machte natürlich.
    Ruth, mit Sicherheit weißt du gar nichts. Du kannst dir das alles auch nur einbilden.
    Vor der Skizze einer Squaw mit einem rundgesichtigen Baby auf dem Rücken blieb sie stehen.
    Er geht abends nach seinem Kurs zu irgend jemand in die Wohnung. Wahrscheinlich zum gemeinsamen
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