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Herzensjunge

Titel: Herzensjunge
Autoren: Carmen Korn
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Zeit.
    Jan fängt meinen Blick auf und lächelt. Er scheint nicht verlegen zu sein.Warum auch? Er müsste wirklich keine Mütze tragen, um die Narbe zu verbergen. Ich lächele zurück und fühle mich wie eine Frau.Viel älter als vierzehn. Nicht einen Augenblick lang habe ich das Gefühl, dass er mich für ein Küken hält.

10
    »Das Glück kennt nur Minuten.« Auch so ein Satz, den meine Oma manchmal vor sich hin summt. Wir haben uns kaum in Andreas’ Zimmer auf Sitzsack, Schreibtischstuhl und Bett verteilt, da klopft es, und Mama steht in der Tür. Das ist sonst nicht ihre Art. Einfach zu stören. Sie hat genau wie Oma ein Gefühl für Momente, viel mehr als Papa, obwohl sie doch die Schwiegertochter ist und nicht Omas leibliches Kind.
    »Weißt du, wo Hanna sein könnte?«, fragt Mama. »Ihre Mutter ist am Telefon und sie ist sehr in Sorge.«
    Ich gucke auf die Uhr, die auf dem Schreibtisch steht. Gleich halb acht. Noch kein Grund, sich zu sorgen. Eher unwillig stehe ich vom Stuhl auf und blicke zu Jan, als könnte ich ihn beschwören, diese besondere Stimmung zu erhalten, die ich mir doch nicht eingebildet habe. Am besten über den Abend hinaus.
    Ich nehme das Telefon und höre, dass Hanna nach der Schule gar nicht nach Hause gekommen ist. Erst zögere ich, doch dann erzähle ich haarklein, was in der Stunde der Hettich vorgefallen ist. Eigentlich fühle ich mich ziemlich mies, nicht viel intensiver darum bemüht gewesen zu sein, Hanna zu sprechen. Der Nachmittag ist mit mir davongerauscht.
    »Ist sie denn nicht bei Kalli?«, frage ich.
    Hannas Mutter schnaubt nur. Eindeutig die falsche Frage.
    »Ich dachte, du kennst vielleicht Orte, an denen sie sich aufhalten könnte«, sagt Hannas Mutter.
    »Geht sie denn nicht an ihr Handy?«, frage ich.

    »Die Leitung ist tot«, sagt Hannas Mutter. Ganz gepresst klingt sie.
    »Hanna hat in letzter Zeit nicht gerade meine Nähe gesucht«, sage ich.
    »Ich weiß, Toni. Wenn dir noch was einfällt, rufe uns bitte an.«
    Ich nicke, und es fällt mir zu spät auf, dass sie das nicht hören kann. Da hat sie schon aufgelegt.
    Ich will ins Zimmer zurückgehen und sehe Jan und Andreas kommen. Jan hat seine Mütze wieder aufgesetzt. Er lächelt mich an, wie er es vorhin getan hat. Doch etwas ist anders. Das wirkliche Leben hat mich eingeholt. In einem Wahnsinnstempo. Irgendwie bin ich ein bisschen sauer auf Hanna. Ich hab ihr ja auch nicht dazwischengefunkt, wenn sie mit ihrem Kalli zusammen war. Der Tag fällt mir ein, an dem ich in ihr Zimmer platzte, als sie mit Kalli auf dem rosa Sofa saß. Doch das war längst nicht so ein Moment zwischen Kalli und ihr wie jetzt eben bei Jan und mir. Jan und ich. Jan und Toni. Jan und Antonia.
    »Auf Wiedersehen, Antonia«, sagt Jan und geht davon.
    Er hat was Altmodisches an sich.Vielleicht denke ich das nur, weil er sich gut benimmt. Anders als alle anderen Jungen, die ich kenne. Obwohl auch Andreas heute ganz anders ist. Als ob er mich auf einmal ernst nähme.
    »Sollten wir uns nicht mal zusammensetzen und überlegen, wo Hanna stecken kann?«, fragt Oma. »Das Vorgehen dieser Lehrerin sollte wirklich Konsequenzen haben.« Sie sieht meinen Vater an, als sei er für alle Kollegen aus Hamburg und Umgebung verantwortlich.
    Doch es fällt uns nicht ein, wo Hanna stecken könnte.

11
    Ich liege neben meinem Bären im Bett und habe die Decke bis zu unseren Nasen hochgezogen. Bin ich die Frau von eben?
    Was ist mit mir geschehen, das mich zu einer Schönen aus einem Bild von diesem Waterhouse machte? Waren vielleicht ein paar Krümelchen Hasch in Omas Kleidern? Das hat sie doch in den Sechzigerjahren geraucht. Mit Opa. Eigentlich kaum zu glauben.Vielleicht genügt es ja schon, den Duft einzuatmen, und der hat mich high gemacht.
    Morgen werde ich an Mamas Computer gehen und im Internet alles über präraffaelitische Maler recherchieren. Ich muss am Ball bleiben.
    Ob Jan mich überhaupt mag, wenn er mich in meinen Alltagsklamotten sieht? Ich kann nicht immer herumlaufen wie diese Lady of Dingsbums.
    Da war ein Zauber zwischen uns. Das wird es doch kein zweites Mal geben. Die nächste Begegnung mit Jan macht mir große Sorgen.
    Und wo ist Hanna? Was ist mit ihrem Handy?
    Mama hat noch mal bei Hannas Eltern angerufen, bevor ich ins Bett gegangen bin. Das war um Viertel nach zehn. Hanna war noch immer nicht zu Hause und Hannas Eltern sind zur Polizei gegangen und haben sie als vermisst gemeldet. Doch die scheinen das nicht so ernst genommen zu haben.
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