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Herzensjunge

Titel: Herzensjunge
Autoren: Carmen Korn
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ich mal einen davon anziehen. Mit Leggings drunter. Oma hat gesagt, ich dürfe mir was aussuchen.
    Heute in der großen Pause ist Hanna auf mich zugekommen, gerade als ich in ein Stück Kohlrabi beißen wollte. Sie sah ziemlich kaputt aus und sagte, sie müsse dringend mit mir reden. Wir haben uns im Balzac verabredet. In einer halben Stunde treffen wir uns da auf eine Karamellmilch. Halt. Ich sollte besser den Ingwertee mit Zitronengras nehmen. Passiert viel zu leicht, dass man in alte Gewohnheiten fällt.
    Endlich mal wieder mit Hanna reden, ohne ihren Herzallerliebsten um uns herumstreichen zu haben! Kalli habe ich schon länger nicht mehr auf dem Schulhof gesehen. Vielleicht ist er krank. Hat Hanna darum mal wieder Zeit für mich? Irgendwas bedrückt sie. Ich kenne sie schließlich schon länger als mein halbes Leben. Da kann sie mir nichts vormachen. Ob Kalli mit ihr Schluss gemacht hat? Das wäre ein Segen. Ich vermisse Hanna. Klar, ich sitze jeden Tag mit ihr im Klassenzimmer. Doch sonst findet kaum noch was statt bei
uns. Wenn ich vorschlage, ins Kino zu gehen, dann hat sie den Film schon mit Kalli gesehen. Vorige Woche habe ich einfach mal bei ihr vor der Tür gestanden und geklingelt. Ihre Mutter machte auf und hat sich echt gefreut über meinen Besuch. »Hanna ist in ihrem Zimmer«, hat sie gesagt, »geh nur hinein.« Dass Kalli auch in dem Zimmer war, hatte Hannas Mutter wohl verdrängt. Ich öffne die Tür und sehe die beiden eng aneinandergedrückt auf dem rosa Sofa sitzen, auf dem Hanna und ich immer saßen, wenn wir GZSZ guckten. Na ja. Geknutscht hatten Hanna und Kalli nicht, als ich kam, doch es war trotzdem ein peinlicher Moment.
    »Du schminkst dich, Toni? Hast du was Besonderes vor?«
    Mama tigert durch die Wohnung, weil ihr kein Anfang für eine neue Kitschgeschichte einfällt. Das kenne ich. Dann geht die Kühlschranktür auf und zu, als hätte der Kühlschrank eine Drehtür. Mama kriegt immer Hunger, wenn sie schreiben muss. Und ehe ich mich versehe, steht sie kauend hinter mir und guckt kritisch. Alles um sich abzulenken und nicht am Schreibtisch zu sitzen.
    »Ich treffe mich mit Hanna.«
    Mama wird nicht verstehen, dass das ein Grund ist, sich zu schminken. Doch gerade wenn die Situation angespannt ist, muss man darauf achten, gut auszusehen. Ich denke, ich werde die kleinen silbernen Hufeisen in die Ohren stecken. Die kennt Hanna noch nicht.
    »Hanna ist doch deine beste Freundin«, sagt Mama.
    Was ist das denn für ein Argument. Sie sieht ja auch
nicht aus, als ob sie gerade aus dem Bett käme, wenn sie sich mit ihren Freundinnen trifft.
    »Ich fühle mich einfach besser, wenn ich geschminkt bin«, sage ich. Geschminkt. Ein zu großes Wort dafür. Wimperntusche. Ein paar Tupfer Abdeckcreme. Ein apricotfarbenes Cremerouge oben auf den Wangen. Abgestimmt auf meine blonden Haare, die einen Tick rötlich sind.
    Mama schüttelt den Kopf. Sie meint, dass Mädchen aussehen müssten, als lebten sie auf einer Alm und hießen Heidi. Ungeschminkt. Rotbackig. Nach Milch und Heu duftend. Mit einem Freund, der Geißenpeter heißt.
    Aber leider habe ich nicht mal einen Freund, der Ziegen hütet. Es stinkt mir schon, dass Hanna einen hat und ich nicht. Auch wenn es der bescheuerte Kalli ist.

3
    Um vier waren wir verabredet. Ich gucke auf meine Uhr. Hab noch immer keine Fossil, sondern die Flik Flak mit dem bunten Stoffband, die ich zur Einschulung ins Gymnasium bekommen habe. Gleich ist es zwanzig nach. Keine Hanna.
    Das passt nicht zu ihr, unzuverlässig zu sein, nicht mal in den Zeiten von Kalli. Auf Hanna konnte ich mich immer verlassen. Ich fange gleich an zu heulen. Der Ingwertee scheint mir aufs Gemüt zu gehen. Hoffentlich
ist ihr nichts passiert. Quatsch.Was soll ihr passiert sein.
    In der sechsten war es. In unserer Parallelklasse. Da waren zwei aus der 6c im Schwimmbad verabredet und die eine ist nicht gekommen.Am anderen Morgen stand dann die Direktorin vor der Klasse und sagte: »Kinder, ich muss euch was Trauriges sagen.« Da war sie tot.Vor ein Auto gelaufen. Die ganze Stufe hat geheult. Die A. Die B. Nicht nur die C.
    Ich lasse die Tür kaum aus den Augen und überlege, ob ich nicht doch eine Karamellmilch trinke. Zucker ist Nervennahrung, sagt Oma.
    Vor dem großen Fenster sehe ich meinen großen Bruder stehen. Er wartet wohl auch auf jemanden.Vermutlich auf Lena, mit der er seit einem halben Jahr zusammen ist. Fast schon ein altes Ehepaar. Papa ist nicht begeistert von Lena, weil sie die
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