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Herzensjunge

Titel: Herzensjunge
Autoren: Carmen Korn
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ist mein Schicksal, dass ich hinten sitze, weil ich immer die Längste bin.
    »Die rächt sich nur an der Hettich«, sagt Luisa. Hat Andreas nicht was ganz Ähnliches gesagt? Wenn das wirklich so sein sollte, finde ich es bescheuert, sich zu rächen und alle zu ängstigen. Die Eltern. Mich.
    Was sagt eigentlich Kalli? Hat den schon jemand gefragt?
    Ich denke an Jan, der schon einmal einen Schicksalsschlag gehabt hat, damit darf man nicht spielen. Ob Jan auch an mich denkt?
    Die Tür geht auf, und der Hagen kommt rein und sagt, dass wir nach der sechsten Stunde freihätten und ob Gesprächsbedarf wäre. Kann man es sich einfacher machen?
Nein, sagen wir alle, um entkommen zu können. Ich werde die Zeit nutzen, um zum Goldbekufer zu gehen.

14
    Das Häuschen scheint noch immer verlassen zu sein. Seit dem Sommer hat sich nichts verändert. Nur kalt ist es geworden. Wenn auch noch keine Mützenkälte. Die Gartenpforte quietscht in den Scharnieren, doch sie ist nach wie vor nicht verschlossen. Die große grüne Gießkanne liegt noch immer neben der Regentonne und wurde sicher nicht bewegt. Hinter den Fenstern ist es leer.
    Ich schleiche, als ob ich Schlimmes erwarte.Von Hanna jedenfalls keine Spur. »Hanna«, sage ich mit lauter, fester Stimme, um nichts zu versäumen. »Ich bin’s.Toni.«
    Seit gestern bin ich Antonia, denke ich. Doch das kann Hanna nicht wissen.Wenn sie nicht bald auftaucht, wird sie eine Menge verpassen.
    Ich fange an, wütend zu werden auf Hanna. Als ich die quietschende Gartenpforte hinter mir lasse, heule ich. Hanna.Verdammt.
    Ich gehe bei ihr vorbei. Gewohnheitsmäßig und hoffnungsvoll. Klingele. Doch es macht keiner auf. Ich trete ein paar Schritte zurück und schaue in den dritten Stock hoch zu den Fenstern ihrer Wohnung. Was erwarte ich? Dass sie aus dem Fenster guckt und winkt?

    Mein Zuhause scheint mir wie eine Insel der Glückseligkeit. Mama wird da sein und Papa und Adrian. Und wahrscheinlich Oma. Die hatte heute doch einen Termin mit Mama. Soll sie von mir aus Pfannkuchen mit Ahornsirup machen. Ich will mich einfach nur geborgen fühlen. Egal was das wieder an Kalorien bedeutet.
    Ich stecke den Schlüssel ins Schloss unserer Tür und drehe ihn nur einmal halb. Die Tür ist also nicht abgeschlossen. Sage ich doch, dass alle da sind. Andreas vielleicht noch nicht.Warum ist es so still?
    In der Küche sitzen sie. Allerdings nur Mama und Oma. Beide gucken auf, als habe man sie erwischt. Mama sieht angestrengt aus. Oma lächelt.
    »Tonilein«, sagt sie, »du bist heute ja früh dran.«
    Irgendwas stimmt hier nicht. Ich trete in die Küche und lasse meinen Eastpak neben den Tisch fallen.
    »Was ist los?«, frage ich.
    Oma wirft Mama einen Blick zu, als wolle sie meine Mutter zu größerer Heiterkeit ermahnen. Doch die sitzt schweigend da.
    »Deine Mutter hat mich heute Morgen zu einem Arzttermin begleitet«, sagt Oma, »und dabei ist herausgekommen, dass ich am Herzen operiert werden muss.«
    »Dir geht es doch immer gut«, platze ich los.
    »Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich was mit dem Herzen habe«, sagt Oma, »war neben meinem Magen immer mein stärkstes Organ.«
    »Helene ist in letzter Zeit ein bisschen atemlos geworden«, sagt meine Mutter, »darum ist sie zum Arzt gegangen.«
    »Und nun kriege ich eine neue Herzklappe«, sagt
meine Oma, als habe sie das große Los gezogen. »Wahrscheinlich eine vom Schwein.«
    »Ist das schlimm?«, frage ich und höre mich an, als sei ich ein Kleinkind.
    »Eine große Operation ist immer ein Risiko«, sagt meine Mutter. Sie ist ängstlicher als Oma und Papa. »Frau Sorge« nennt Papa sie manchmal.
    »Ach was«, sagt Oma, »wenn ich das überstanden habe, besuche ich euren Großvater in der Toskana und löffle sein Olivenöl und trinke einen kräftigen Roten dazu. Beides enorm gesund. Opa wird sich freuen.«
    Ich weiß nicht, warum die beiden sich getrennt haben. Eigentlich passen sie ganz gut zusammen. Beide sind wirklich lebensfroh. Oma hat mal gesagt, dass es einfach zu früh gewesen war, mit zwanzig ein Kind zu kriegen. Oma und Opa waren beide erst zwanzig, als Papa geboren wurde. Da hat wohl vor allem Opa gedacht, er habe was versäumt und müsse das im Alter nachholen.
    Da ist es auch schon geschehen, und ich denke darüber nach, wie es wäre, mit Jan ein Kind zu haben. In zehn Jahren oder so. Gott o Gott. Wenn er wüsste, was ich mir da für Gedanken mache. Aber ich merke, dass ich schon wieder beruhigt bin, was Omas Herzklappe angeht,
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