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Herzen aus Gold: Roman (German Edition)

Herzen aus Gold: Roman (German Edition)

Titel: Herzen aus Gold: Roman (German Edition)
Autoren: Fiona McIntosh
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verdiente, würde vielleicht schon im nächsten Jahr alles anders sein. Er war entschlossen, den heutigen Tag zu dem zu machen, der sein Leben veränderte.

3
     
    Oktober 1919
     
    Alle Sinne von Ned Sinclair arbeiteten auf Hochtouren. Er hatte das Gefühl, Stielaugen zu besitzen, die sich noch dazu beständig hin und her drehten, um alle Eindrücke gleichzeitig aufnehmen zu können. Seine Nasenflügel zuckten angesichts der vielfältigen exotischen Gerüche, die ihm in die Nase stiegen, während seine Ohren das Brüllen der Ochsen und das Rattern der Straßenbahnen neben dem Auto aufnahmen, als der Chauffeur ihn mit seiner Mutter und seiner Schwester durch die belebten Straßen von Rangun fuhr.
    Sie waren erst kurz zuvor mit dem Schiff angekommen und befanden sich jetzt auf dem Weg zum Strand Hotel, von dem aus man einen ausgezeichneten Blick auf den Irrawaddy hatte. Schon bald nachdem er aus dem Krieg heimgekehrt war, hatte Neds Vater ihr Zuhause im schottischen North Berwick wieder verlassen und war in den Fernen Osten gegangen. Jetzt lebte er schon fast ein Jahr lang in Burma, weshalb sich Ned sehr danach sehnte, seinen Vater wiederzusehen. Zahlreiche Meilensteine seiner Jugend hatte er ohne die Unterstützung oder den Rat seines Vaters zurückgelegt. Natürlich war das bei vielen anderen Jungen seines Alters genauso gewesen. Neds Mutter Lorna war zutiefst betrübt gewesen, als ihr Mann beschlossen hatte, weiterhin weit entfernt von seiner Familie zu leben, aber sie hatte ihre Gefühle gut verborgen. Lorna hatte Ned erklärt, dass William hart arbeiten würde, um seine Familie nach den dunklen Kriegsjahren in eine vielversprechende Zukunft zu führen.
    Ned hielt seine Mutter für eine Heilige. Zart und zerbrechlich, wie sie war, fand er sie darüber hinaus auch wunderschön. Er war sich durchaus bewusst, dass sie einander ziemlich ähnlich sahen – er hatte ihre schmale Gestalt, ihre gefälligen, symmetrischen Gesichtszüge und ihre großen blauen Augen geerbt. Die goldenen, zausigen Haare seiner Kindheit waren inzwischen nachgedunkelt und hatten die Farbe des feuchten Sandes angenommen, aus dem er im Sommer am Strand der Milsey Bay, wo sein Vater herstammte, immer große Burgen gebaut hatte. Damals war er noch ein Einzelkind gewesen; seine Schwester Arabella war erst vor neun Jahren auf die Welt gekommen. Sie hatten Schottland jedoch schon vor ihrer Ge burt verlassen. Ein Jahr vor Ausbruch des Krieges waren sie kur z dorthin zurückgekehrt, dann hatte sein Vater seine Familie bei alten Freunden seiner Frau in Nordengland untergebracht. Lorna stammte aus York und hatte sich in den schneidigen Schotten verliebt, als dieser vorübergehend eine Lehrerstelle in der Stadt angenommen hatte. In den vergangenen elf Monaten hatte seine Mutter als Privatlehrerin in St. Albans gearbeitet. Da die Familie so oft umzog und Ned vor allem zu Hause unterrichtet wurde, hatte er inzwischen jede Spur seines früheren schottischen Akzents verloren, und auch seine Schwester Bella sprach ein akzentfreies Englisch. Ned, der auf seine schottische Herkunft sehr stolz war, bedauerte, dass er den charmanten Dialekt seines Vaters verloren hatte.
    In diesem Moment fing seine Schwester neben ihm wieder zu zappeln an.
    »Hör endlich auf damit, Bella. Ich kann nicht noch weiter rutschen«, schalt er sie.
    Seine Mutter warf ihm einen müden Blick zu. Die Reise von Edinburgh über Liverpool nach Rangun auf der Gloucestershire , einem Schiff der britischen Reederei Bibby, war ihr schier endlos erschienen. In diesem Augenblick schien sie selbst das Sprechen zu viel Energie zu kosten. Ned roch das Leder der Autositze, ein Geruch, den er normalerweise als angenehm empfand. Heute jedoch vermischte er sich mit der sauren Schärfe von Schweiß, einem unangenehm süßen Blütenduft sowie dem erdigen Geruch der Ochsen. Die Luft war schwül, und er spürte, wie sich an seinem Haaransatz Schweißtropfen bildeten. Sein Hemd war am Rücken, dort, wo er die Lehne des Rücksitzes berührte, klatschnass. Er lockerte seinen eng sitzenden Kragen.
    »Sei nicht so schroff zu deiner Schwester. Du bist doppelt so alt wie sie, Ned. Du bist jetzt ein Mann«, sagte seine Mutter sanft. »Dein Vater wird so stolz sein, dass du eine abgeschlossene Ausbildung als Elektriker hast.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob mir meine Ausbildung hier viel nützen wird«, bemerkte er ohne jede Bitterkeit in der Stimme.
    »Dessen bin ich mir durchaus bewusst, mein Liebling. Aber ich
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