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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition)
Autoren: T.A. Wegberg
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Reitschule!«
    Außerdem hat sie ein wachsames Auge auf meinen Umgang mit Anoki, und erst jetzt fällt mir auf, wie selbstverständlich es für mich geworden ist, mit meinem Bruder kleine Zärtlichkeiten auszutauschen – wie oft ich ihn in den Arm nehme, ihm übers Haar streichle, ihm die Hand aufs Knie lege oder seinen Rücken kraule, wovon er, obwohl er das nie zugeben würde, einfach nicht genug kriegen kann. Das alles tue ich praktisch ohne Hintergedanken; es gehört zu unserem Alltag und hat sich so entwickelt, weil wir offenbar beide überzeugte Kampfschmuser sind, und im Übrigen gehen durchaus nicht alle Kontaktaufnahmen von mir aus: Anoki ist da genauso aktiv.
    Judith registriert das genau und zieht falsche Schlüsse daraus. Also, es ist natürlich nicht so, dass ich nicht nach wie vor ziemlich lebhaft an Anoki interessiert wäre, um es mal zivilisiert auszudrücken. Auch wenn ich vor lauter ehemannartigen Verpflichtungen kaum noch zum Luftholen komme – für ein paar wüste Fantasien reicht meine Energie allemal, und sie nehmen weiterhin beachtlichen Raum in meiner Gedankenwelt ein. Unsere kleinen Berührungen und Umarmungen sind jedoch tatsächlich vollkommen unschuldig; sie sind Zeichen unserer brüderlichen Zuneigung, sonst nichts. Das weiß Judith bloß nicht. Sie kriegt schmale Augen, sobald ich Anoki den Arm um die Taille lege oder er sich beim Fernsehen zu dicht neben mich setzt.
    Einmal haben wir abends Besuch von Marion und noch einer anderen Freundin Judiths, und als Anoki vom Skaten nach Hause kommt, gibt es für ihn keinen Sitzplatz mehr im Wohnzimmer. Ohne zu zögern setzt er sich auf die Armlehne des Sessels, den ich für mich beschlagnahmt habe, und rutscht im Laufe der folgenden Minuten von dort herunter, bis er auf meinem Schoß sitzt. Wir denken uns beide nichts dabei, das kann ich beschwören – aber Judith wirft zunehmend giftigere Blicke zu uns rüber und macht mir hinterher, als ihre Freundinnen gegangen sind, böse Vorwürfe, die mich umso härter treffen, weil ich mich so schuldlos fühle.
    Ein anderes Mal hat Anoki mir aus Spaß einen USB-Stick weggeschnappt, auf dem ich Fotos gespeichert habe, und tut so, als wolle er damit abhauen. Natürlich gibt es ein wildes Gerangel mit ausgelassenem Gekicher und nicht ernst gemeinten Beschimpfungen, und gerade als ich atemlos rücklings auf dem Teppich liege und Anoki der Länge nach auf mir, betritt Judith den Raum. Ich gebe ja zu, dass dieser Anblick ein gewisses missverständliches Potenzial haben mag, aber muss sie gleich so giftig werden?    
    Una macht es mir auch nicht gerade leicht. Mit Anoki kommt sie inzwischen hervorragend klar, weil sie ihn bewundert und versucht, so zu sein wie er (leider ohne jeden Erfolg, finde ich). Dabei übersieht sie allerdings, dass Anoki mich respektiert und mir weitgehend gehorcht. Und mich vielleicht sogar liebt, jedenfalls wünsche ich mir das. Una registriert nur, dass Anoki ein regelloser Anarchist ist, und genau das versucht sie nachzuahmen. Bei Judith erzielt sie damit keinerlei Effekt, Judith lässt sich von ihren Frechheiten nicht mal ansatzweise aus der Ruhe bringen – sie nimmt Una in dieser Hinsicht einfach überhaupt nicht ernst. Also versucht sie es bei mir, und leider macht mich das wütend und führt insofern für Una zum Erfolg. Zum Beispiel sagt Judith ihr, dass sie den Tisch abräumen soll. Das tut sie – aber meinen Teller und mein Glas lässt sie stehen. Ich erkenne die Provokation, also bitte ich sie höflich, mein Geschirr ebenfalls abzuräumen. Una sagt: »Kannst du das nicht selbst?«, ich werde sauer, es gibt Zoff.
    Judith hält sich grundsätzlich demonstrativ raus, wenn ich mit Una rumzanke, und Anoki beobachtet uns mit einer Art wissenschaftlichem Interesse, ohne sich zu beteiligen. Beides ärgert mich zusätzlich.

 
 
114
    Anoki ist tagsüber ständig unterwegs, und ich kann nicht kontrollieren, was er tut. Judith und ich müssen arbeiten, Una ist im Hort, und er rollt auf seinem Skateboard durch Berlin. Ich kaufe ihm eine BVG-Monatskarte, damit er nicht schwarzfährt. Ein paar Mal holt er mich von der Arbeit ab – für mich immer eine Gratwanderung zwischen bodenloser Peinlichkeit und ekstatischem Entzücken –, häufig geht er in irgendeinem Berliner Gewässer schwimmen, um abends mit nassen Haaren wie ein Raubtier über alles Essbare herzufallen, und leider kommt er auch oft mit Gegenständen nach Hause, die ihm morgens noch nicht gehört haben und die zu
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