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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition)
Autoren: T.A. Wegberg
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hin, und mir wird klar, dass er unschuldig ist. Sein schauspielerisches Genie in allen Ehren, aber ich kenne ihn – er war es nicht.
    »Hast du dein Portemonnaie heute benutzt?«, frage ich Judith. »Kann der Schein rausgefallen sein?«
    »Rausgefallen?« Judith schreit fast. »Ein Hunderter? Wie soll das denn gehen?« Ich nehme an, genauso wie auch ein Fünfer oder ein Zehner rausfallen kann, beim Bezahlen an der Supermarktkasse zum Beispiel – aber es ist vielleicht besser, wenn ich das jetzt nicht sage. Außerdem fasst sie schon wieder Anoki ins Auge. »Meine Tasche hängt immer hier an der Garderobe«, sagt sie. Das wissen wir alle. Dann fragt sie Anoki direkt: »Hast du das Geld rausgenommen?«
    Wieder guckt Anoki mich an. Ein Blick wie ein Rasierklingenschnitt; ich krümme mich vor Schmerzen. »Nee«, sagt er dann zu Judith. Weiter nichts.
    »Wieso sollte er?«, frage ich.
    Judith schnaubt. Ich sehe, dass ihr allerhand auf der Zunge liegt, aber sie kriegt die Kurve und bringt ihr geplündertes Portemonnaie kommentarlos zurück in den Flur.
    Der Abend ist gelaufen. Es herrscht eine Stimmung wie im Kühlschrank, deshalb verziehen sich Una und Anoki ganz früh ins Kinderzimmer, und ich hab auch keine große Lust, mit Judith zu kuscheln. Umgekehrt gilt dasselbe. Es wäre vielleicht besser, wenn ich mit Anoki in meine Wohnung fahre, aber andererseits würde das den Graben nur noch tiefer machen. Ich grüble und grüble und kann keine Entscheidung treffen. Irgendwann ist es zu spät, um zu fahren, Anoki hat sich auf seiner Matratze zusammengerollt und schläft schon, also klettere ich widerwillig zu Judith ins Bett.
    »Anoki war das nicht«, sage ich. »Da bin ich absolut sicher.«
»Ja? Ich nicht«, sagt sie. »Aber dass du das sagen würdest – das war klar.« Hier geht es nicht nur um hundert Euro, hier geht es ums Prinzip, stelle ich fest. Ich werde traurig. Etwas geht gerade kaputt, etwas, das mir wichtig war. 

 
 
115
    Una verschränkt die Arme vor der Brust. »Na und?«, faucht sie angriffslustig. »Tut euch doch nicht weh.«
    Judith hat soeben fünfundachtzig Euro und siebzig Cent in ihrer Hosentasche gefunden, und das ist ihr Kommentar dazu. Schade, dass ich ihr keine runterhauen darf.
    »Nein? Glaubst du, wir drucken das Geld selbst?«, fauche ich zurück. »Du redest vielleicht eine Kinderkacke! Und dann erklär mir mal, wieso du einfach so zugeguckt hast, als Anoki verdächtigt wurde! Das tat wohl auch keinem weh, was?«
    Anoki dreht den Kopf weg und murmelt: »Lass doch mal jetzt.«
    Was soll das denn? Übertreibt er es nicht mit der Solidarität? Sie hat eiskalt zugesehen, wie er als Dieb bezeichnet wurde, und jetzt will er sie beschützen!
    »Wenn’s ihm was ausgemacht hätte, hätte er ja sagen können, dass ich das Geld hab«, meint Una trotzig.
    Es dauert ein paar Augenblicke, bis ich diese Information verarbeitet habe. »Wie jetzt? Du meinst, Anoki wusste das?«
    Una nickt, vermutlich in der Hoffnung, dass sie damit teilweise rehabilitiert ist. »Der nimmt sich doch auch alles, was ihm gefällt«, fügt sie noch hinzu, die kleine Schlange.
    Jetzt sagt Judith auch endlich was: »Ach so, und da hast du gedacht, das machst du auch mal?«
    Wieder nickt Una, aber ihre aufgesetzte Selbstsicherheit bröckelt. Judith wendet sich Anoki zu: »Und warum hast du nichts gesagt?«
    »Ich scheiß keinen an«, sagt Anoki und fixiert seinen Teller. Uff. Das haut uns alle beide um. Wie kriegt man das vereinbart, dass einer halb Berlin wegklaut, gefährliche Pillen vertickt und Pornofilme brennt, aber sich dann tagelang schweigend beschuldigen lässt, um einen anderen zu schützen? Noch dazu eine übellaunige, ihrerseits völlig unsolidarische Göre? Ich nehme an, zumindest Judith sieht Anoki jetzt in einem anderen Licht – ich wusste ja schon vorher, dass an ihm ein kleiner Heiliger verlorengegangen ist.
    »Tut mir leid wegen Anoki«, sagt Judith, als ich die Nachttischlampe ausschalte. Aha. Das wurde aber auch Zeit. »Du kennst ihn wohl doch besser«, fügt sie hinzu.
    Diesmal klingt keinerlei Zynismus durch, deshalb erwidere ich fest: »Scheint so. Ich hab ihm angesehen, dass er’s nicht war.«
    Wir schweigen eine Weile, dann sagt Judith: »Una hat das Geld geklaut, um ihm nachzueifern.«
    Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Angriff auf Anoki sein soll, deshalb gebe ich keine Antwort, sondern liege verkrampft neben ihr. Zum Glück spricht sie weiter: »Aber das ist ja wirklich was anderes, ob man im
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