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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition)
Autoren: T.A. Wegberg
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gehen ihn morgen kaufen.« Halb bewusstlos vor bezwungener Gier löse ich meine Hände langsam vom Ziel meiner Wünsche, hocke mich vor Anoki hin, ziehe ihm die Hose wieder hoch und versuche, den obersten Knopf zu schließen, aber ich zittere zu sehr.
    Er übernimmt das und sagt: »Geil. Danke.«
    Ich rede mir ein, dass er damit nicht den versprochenen CD-Player meint, was mich gleichzeitig seufzen und lächeln lässt.

 
 
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    Man könnte sagen, dass ich jetzt einen moralischen und pädagogischen Tiefpunkt erreicht habe, und Judiths Einschätzung wäre vermutlich noch vernichtender. Ich sehe das anders. Immerhin gelingt es mir – und ich schwöre, ich weiß selbst nicht wie –, umgehend zur Tagesordnung zurückzukehren. Das heißt: Ich hole die Pizza aus dem Ofen (wobei ich mir allerdings, weil ich so zittrig bin, böse den Daumen verbrenne) und esse mit Anoki zu Abend. Das ist Selbstbeherrschung – das muss mir erst mal einer nachmachen.
    Wir reden über banale Dinge; ich mache mich über Anoki lustig, weil er es nicht schafft, seine Pizza mit dem Messer zu schneiden, und er zieht mich auf, weil ich mir Tomatensauce aufs Hemd kleckere. Mit keinem Wort erwähnen wir meine jüngste Verirrung und ebenso wenig Anokis reizende kleine Erpressung. Der Punkt ist ja: Wir haben uns gegenseitig nichts vorzuwerfen. Jeder hat bekommen, was er wollte, und wir scheinen uns einig zu sein, dass der Preis für beide Seiten angemessen war. Ich habe bloß die diffuse Sorge, dass das jetzt so weitergehen könnte – dass Anoki mehr und mehr fordert. Aber, tja, dann muss ich meine Forderungen eben auch erhöhen. Ich freue mich schon auf den Tag, an dem er ein Auto von mir haben will.
    Im weiteren Verlauf des heutigen Abends erlaube ich mir jedenfalls keine Grenzüberschreitung mehr, sondern beschränke mich auf die Rolle des großen Bruders: gutmütiges Ärgern, Belehrungen auf Augenhöhe, gespielte Strenge und genüssliches Verwöhnen. Nur im Hinblick auf Anokis Alkoholkonsum bin ich rigoroser geworden, seit er nicht mehr besuchsweise, sondern dauerhaft bei mir ist, und deshalb kriegen wir immer wieder Streit, aber ich bleibe hart. Saufen ist nichts für kleine Jungs, und zum Beweis, wie ernst mir das ist, halte ich mich auch selbst mehr zurück.
    Es ist auffallend, wie Anoki sich verändert, wenn er mit mir alleine ist. Er wird lebhafter, wacher und lustiger, er redet viel mehr – auch viel mehr Quatsch, aber das stört mich nicht –, und er lacht häufiger. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob mein Plan mit der Verlobung richtig war. Was ist, wenn Anoki im Zusammenleben mit Judith, Una und mir total unglücklich ist? Was soll ich tun, wenn er zu einem verschlossenen, trübsinnigen Trauerkloß wird? Oder wenn er aus lauter Frust die Zahl seiner Delikte verdoppelt und völlig außer Rand und Band gerät? Ich würde ihn dann nicht mehr in den Griff kriegen, das weiß ich. Er würde mich als seinen Feind ansehen, mir nicht mehr vertrauen, mir nichts mehr erzählen und nur noch stumm und beharrlich revoltieren. Verdammt! Ich wollte alles perfekt machen, ich wollte Anoki retten und habe dafür sogar meine Freiheit geopfert – und nun sieht es so aus, als hätte ich genau das Gegenteil damit bewirkt. Ich fühle mich furchtbar schlecht.
    Trotz seiner blendenden Laune entgeht Anoki nicht meine Besorgnis.
    »Was ist los, hast du Verstopfung?«, fragt er unvermittelt.
    Ich ringe mir ein blasses Lächeln ab und suche nach einer unverbindlichen Antwort, dann entscheide ich mich um. »Ich mach mir Sorgen«, erkläre ich ehrlich. »Ob das die richtige Entscheidung war, mit Judith und dir und so.«
    Anoki grinst herausfordernd. »Ähm – für wen hast du dich denn jetzt entschieden?«, fragt er provokativ.
    Leider bin ich nicht in der Stimmung für so ein Geplänkel. »Du warst so still die letzten Tage«, fahre ich fort, als hätte ich ihn nicht gehört. »Ich nehme an, du fühlst dich nicht wohl, wenn wir alle zusammen sind.«
    Anokis Grinsen verschwindet, und er sieht mir aufmerksam und forschend ins Gesicht. Dann sagt er: »Und ich dachte, du fühlst dich nicht wohl.«
    Ich bin überrascht. Seit wann interessieren sich Vierzehnjährige für die Gefühle anderer Menschen? Und vor allem – wie kommt er darauf? Ich rekapituliere die Tage, in denen wir gemeinsam unter einem Dach gelebt haben, und muss gestehen, dass er recht hat. Ich habe mich wirklich nicht besonders wohlgefühlt, es ist mir nur nicht aufgefallen. Erst jetzt, aus der
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