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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß
Autoren: Anne Bax
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und die Augen geschlossen. Sie sonnten sich seit 1982 unschuldig und hingebungsvoll. Das hatte ihnen wahrscheinlich einiges erspart.
     
    »Und den du hierherholen könntest.« Meine Mutter hatte ihre Worte vollkommen ernst gemeint und war für Ironie nicht empfänglich.
     
    »Mutti, wir gehen jetzt alle zusammen hinüber in die Wohnung und dann erklärst du mir, was hier passiert ist. Und dann, und wirklich erst dann, entscheiden wir was zu tun ist.«
     
    Rose-Lotte stürmte von meinem rauen Ton erschreckt zur Tür und meine Mutter fing sie geschickt ab. »Kein Grund zu rennen, sonst fällst du wieder.«
     
    Mir fiel jetzt wieder ein, wie Rose-Lotte mir den Kuchen an jenem schrecklichen Wochenende gebracht hatte und danach hinkend durch den Garten verschwunden war. Und plötzlich wurde mir klar, dass sie nicht gekommen war, um mir Kuchen zu bringen. Sie hatte nach mir sehen sollen.
     
    »Du bist an diesem Wochenende die ganze Zeit hier gewesen und du hast sie geschickt, um nach mir zu schauen.« Das war keine Frage mehr.
     
    »Rose-Lotte hat mir von der Frau erzählt, die sie bei dir gesehen hat, und da wusste ich, dass mein Ausflug möglicherweise der Lösung zweier Probleme dient.« ErzEngel raunte mir das zu und schob gleichzeitig mich und Frau Stein aus dem Schuppen und die Tür hinter sich zu. Als das Schloss wieder fest eingerastet war und wir uns alle Sitzmöbel aus der Wohnung im Wohnzimmer zusammengesucht hatten, begann sie mit dem Rest der Geschichte.
     

Es gab nur eine Möglichkeit.
     
    Nur diese eine und die Zeit drängte. Die Wasserlache unter der geschlossenen Truhe wurde stetig größer und Rose-Lotte war nach und nach in eine eigenartige lächelnde Starre gefallen. Es war schon nach Mittag und es wurde wärmer. Die Sonne war auf ihrem höchsten Punkt auch in den Hof und auf den alten Schuppen gefallen. Also wählte ich Helmuts Nummer und kündigte ihm an, dass ich ihn abholen würde. »Kannst du Werkzeug einpacken? Es geht um eine defekte Kühltruhe. Hier liegt zwar einiges rum, ich bin aber nicht sicher, was du brauchst.« Er hatte wie immer wenig gefragt und kurz gegrunzt. Auf dem Weg zu ihm spielten meine überreizten Nerven mir die Szene im Wohnzimmer immer und immer wieder vor.
     
    Rose-Lotte, die kleine Laute von sich gab, die mal Worte und mal schmerzgewordener Ton waren. Und meine Mutter, die in dieser kahlen Umgebung die Geschichte eines Lebens erzählte, das mich schaudern ließ.
     
    Rose-Lotte Stein hatte spät geheiratet und mit ihrem Mann eine kleine Metzgerei betrieben. Ihre eigenen Eltern hatten die Tochter, die nur schwer hören konnte und an Männern kein Interesse zeigte, mittels einer Anzeige im Zentralorgan der katholischen Arbeiterbewegung an den alleinstehenden Metzger vermittelt, um sicherzugehen, sie in soliden, gottesfürchtigen Händen zu wissen.
     
    »Und dann hat er sie geschlagen?« Ich war meiner Mutter ungeduldig ins Wort gefallen und sah die Tragödie quasi vor mir. Der brutale, grobschlächtige Metzger mit den von Tierblut immer roten Händen und die wehrlose junge Frau. Rose-Lotte Stein schüttelte den Kopf und behielt durch das Fenster den Schuppen im Auge.
     
    »Nein, hat er nicht. Aus heutiger Sicht wäre eine Metzgerin für Rose-Lotte bloß passender gewesen.« ErzEngel lächelte zum ersten Mal an diesem Tag.
     
    Gut, ich musste die Geschichte etwas umschreiben. Da war die einsame, isolierte Lesbe, zartfühlend, sehnsüchtig und hoffnungslos, die nach langer unglücklicher Ehe verzweifelte und im Affekt ihren Ehemann hinterrücks an der Wurstmaschine erschlug.
     
    Damit konnte ich auch leben, aber es erklärte die Anwesenheit des zweiten Senioren in der Truhe nicht. Da musste mehr passiert sein. Vielleicht hatte sie sich zwischen Mettenden und Dauerwurst in eine reife Aushilfswurstfachverkäuferin verliebt und nachdem die beiden ihren verbotenen Gefühlen im Schatten des Fleischwolfs erlegen waren, hatten sie für ihre Liebe nur einen Ausweg gesehen. Und jetzt ruhten die eifersüchtigen Ehemänner im eisigen Sarg. Wo aber war die Aushilfsverkäuferin jetzt?
     
    »Hörst du mir noch zu?« Mein Gesichtsausdruck hatte wohl meinen Ausflug in die Welt der Theorien verraten.
     
    »Natürlich.«
     
    »Die Metzgerei mussten sie schon in den siebziger Jahren aufgeben.«
     
    Ich verabschiedete mich wehmütig von der Wurstverkäuferin, der ich Irenes Augen und ihre schönen Hände gegeben hatte. Falls ich aus dieser Situation herauskam, ohne im Gefängnis
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