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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß
Autoren: Anne Bax
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Schicksal, dessen gesamte Grausamkeit in seiner Ereignislosigkeit lag. Niemand hatte gewütet, geschlagen, getötet oder sich gar leidenschaftlich verliebt. Es war eher die völlige Abwesenheit aller Emotionen, die Rose-Lottes Dasein in eine kalte Katastrophe verwandelt hatten.
     
    »Sie hat ihn nicht umgebracht?«
     
    »Natürlich nicht, sieh sie dir doch an. Sie kann doch keiner Fliege etwas zuleide tun.«
     
    Ich hatte sie mir angesehen und Rose-Lotte hatte schüchtern zurückgeblickt. Mitten in meine Augen. Ihre Augen waren wasserblau und ich hatte plötzlich sehen können, dass sich ihr Alter und ihr unglückliches Leben wie eine zerknautschte Maske auf ein hübsches Gesicht gelegt hatten. Sie war sicherlich nur ein paar Jahre älter als ErzEngel, aber sie sah deutlich älter aus. Und müder. Aber in ihrem Blick hatte die gleiche Sehnsucht gelegen, die in meinem lag, wenn ich Irene ansah. Die gleiche Liebe, der gleiche hoffnungslose Wunsch. Wir waren Seelenverwandte, von nichts als der Zeit getrennt.
     
    Sie hatte gewusst, was ich gesehen hatte, tief eingeatmet und fast unhörbar und undeutlich geflüstert: »Ich wäre gerne jünger für dich.«
     
    Aber ich hatte es doch verstanden und es hatte mir mein Herz gebrochen, mehr als SIE es jemals gekonnt hatte.
     

Diesen Teil erzählte ich Helmut nicht.
     
    Und den Rest fasste ich zu einer für ihn verdaulichen Menge zusammen.
     
    »Ihr Mann hat mit einem obdachlosen Saufkumpan selbst gebrannten Schnaps getrunken. Methanol. Als sie sie im Schuppen gefunden hat, waren beide schon tot. Rose-Lotte kann sich nicht gut verständigen und sie hat Angst vor fremden Menschen und vor dem, was sie mit ihr tun können. In ihrer Welt war es einfacher, das allein zu lösen, das hat sie immer getan. Also hat sie die beiden erst eingefroren, dann säuberlich mit Axt und Kreissäge portioniert und schließlich nach und nach liebevoll bestrickt.«
     
    Helmut kratzte sich ratlos am stoppeligen Kinn. Rose-Lottes Stricknadeln verharrten in der Wolle.
     
    Den letzten Teil hatte ich mir selber erklären müssen.
     
    »Sie wollte wohl so etwas wie Grabpflege betreiben und ihr Mann mochte die Farbe grün. Nicht wahr?« Ich sah zu Rose-Lotte hinüber. Sie nickte vorsichtig.
     
    »Und warum hat sie ihn uns dann aufs Dach gestellt.« Helmut fand es sicherer, mich anzusehen.
     
    Aber es war ErzEngel, die ihm antwortete. »Sie wollte gerne einmal im Leben etwas Aufregendes tun und sie wollte meiner Tochter eine Rose und ein Gedicht schenken und sicher sein, dass sie sich daran erinnert.«
     
    »Verstehe.« Er schaute auf mich und dann auf seine Uhr, die ihm die Zeit auf allen Kontinenten anzeigte. »Dann sollten wir jetzt einen besseren Platz für die beiden finden.«
     
    Ich hätte ihn küssen können und das Gefühl hatte ich bei Männern selten.
     

Sein Plan war einfach.
     
    Und er erklärte ihn mir, als ich ihn zum Gasometer zurückbrachte. »Wir vergraben sie heute Nacht in der Wildnis. Da findet sie keiner. Ist ein guter Platz für einen Menschen aus dem Revier.«
     
    Ich musste ihm recht geben. Die »Wildnis« befand sich auf dem Gelände einer zweihundert Hektar großen Industriebrache ganz in der Nähe. Sie lag in einer riesigen Geländemulde zwischen den Resten einer ehemals bewohnten Straße und einem Bahndamm. Ganz früher hatten hier die Arbeiter ihre Gärten gehabt, aber dann hatten zwei Autobahnen die Lauben von den Wohnhäusern abgeschnitten und die kleinen Häuser waren eingerissen worden. Nach dem Abriss war das unzugängliche Gelände als Flächenreserve des damals noch in Betrieb befindlichen Hüttenwerks lange Zeit sich selbst überlassen worden. So war es verwildert und mit der Zeit hatte sich ein dichtes, undurchdringliches Wäldchen entwickelt, in dem sich die Natur ungestört den giftigen Boden zurückerobern konnte. Obwohl der Rest der Brache heute viel genutzter Freizeitraum war, durfte das dicht bewachsene Gelände zum Schutze von Flora und Fauna von den Besuchern nicht betreten werden. In einer Broschüre konnte man lesen, dass hier hin und wieder Nachtigallen sangen. Es war ein perfekter Ort.
     
    Und Helmut hatte auch die Logistik schon überlegt.
     
    »Du nimmst jetzt meinen Kombi, packst die Damen hinten rein und später die Fracht auf die Ladefläche. Ich fahre mit deinem Wagen hin und grabe an einer guten Stelle. Heute Nacht um 2.45 Uhr treffen wir uns. Fahr von hinten über den alten Betriebsweg ran. Ist dann noch ein Stückchen zu Fuß.
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