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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß
Autoren: Anne Bax
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zu landen, würde ich Irene anrufen. Falls ich ins Gefängnis kam, würde ich ihr täglich schreiben.
     
    »Rose-Lotte ist danach putzen gegangen, Herr Stein hat zu trinken angefangen. Jeder wie er kann.«
     
    Das war es! Ich verstand. Der vom Alkohol und Frust gezeichnete Ehemann tyrannisierte im Suff seine hilflose Frau und sie rächte sich nach Jahren der seelischen Qualen, als er wieder einmal volltrunken am Boden lag. Ich sah die Axt im Mondlicht funkeln.
     
    Und dann erschlägt sie zur Sicherheit noch einen Nachbarn? Auch meine neueste Theorie hatte eine unschöne Lücke.
     
    »So haben sie dann hier gelebt. Er hat im Schuppen gebastelt und getrunken. Sie hat das Geld für beides verdient. Schließlich haben sie nur noch von ihrer Rente gelebt. Von der Metzgerei sind ihnen ja nur Schulden und die beiden Truhen geblieben.«
     
    Natürlich! So musste es gewesen sein! All diese Jahre voller Gewalt und Entbehrungen und dann hatte die Rente nicht mehr für den Mann, die Frau und den Alkohol gereicht und so hatte sich Rose-Lotte für das eigene Überleben entschieden und die Axt genommen. Und die verhassten Symbole des Scheiterns waren zum kalten Sarg des Tyrannen geworden.
     
    Aber so war es auch nicht gewesen.
     

»Charly?«
     
    Helmut klopfte an meine Scheibe und fragte sich wahrscheinlich, warum ich es erst so eilig machte und dann gedankenverloren vor dem Gasometer stand, ohne ihm Bescheid zu sagen. Ich winkte ihn in den Wagen und er hievte einen Werkzeugkasten von beträchtlicher Größe in meinen Kofferraum. Wir fuhren los. Helmut schwieg und ich suchte im stillen Wagen nach Worten.
     
    »Helmut, die Truhe, um die es geht. Du solltest da nicht reinschauen. Sie gehört einer sehr netten alten Dame.«
     
    Andere hätten das als Auftakt für ein Gespräch und viele Fragen genutzt. Helmut grunzte zustimmend. Er hatte alle Informationen, die er für diese Situation brauchte.
     
    Ich brachte ihn durch den gemeinsamen Hofeingang des Hauses im Keller zum Schuppen und ErzEngel schloss uns auf. Ich warf einen Blick durch das Fenster. Rose-Lotte saß auf ihrem Sessel und strickte. Ich kannte die Wolle.
     
    Helmut kniete sich neben die Lache und schraubte ein verdrecktes Gitter an der Hinterseite der Truhe auf. Oder besser gesagt, er versuchte es aufzuschrauben, denn es widersetzte sich seinen Bemühungen. Schließlich bog er es mit einer dicken Zange auf und leuchtete mit einer Taschenlampe in die schweigende Technik. Er zog, drehte und leuchtete, er drückte zwischendurch den Knopf am oberen Truhenrand und lauschte. Es blieb still. Er legte sich vor die Truhe und kam schließlich mit einem resignierten Blick nach oben.
     
    »Totalschaden. Bin nicht sicher, dass es dafür noch Teile gibt. Falls ja, wird das aber teuer. Besser neu kaufen und das Zeug umladen, bevor es komplett auftaut.«
     
    Und hier lag das Problem.
     
    Eine neue Truhe würde das Unvermeidliche zwar wieder um einige Jahre aufschieben, aber eines Tages würde Rose-Lotte ihren Nachlassverwaltern dann eine tiefgekühlte Überraschung hinterlassen. ErzEngel wollte das nicht.
     
    »Wir klären das jetzt und endgültig. Wenn sich die Truhe nicht mehr reparieren lässt, ist das ein Zeichen. Das hat sie nicht verdient, dass die Welt so über sie denkt, weißt du? Sie hat es doch nur gut gemeint. Oder nicht besser gewusst.«
     
    Meine Mutter hatte mir das schon vor meiner Abfahrt im Wohnzimmer erklärt, als ich diese Lösung vorgeschlagen hatte.
     
    »Sie hat mich auserwählt, um ihr zu helfen. Und sie ist sehr verliebt in dich. Wir müssen das richtig machen.«
     
    Helmut sah sich begeistert und ruhig die vielen Werkzeuge und den Flaschenzug an. Ich traf wieder eine Entscheidung.
     
    »Helmut, es gibt in dieser Truhe etwas, das sehr schnell einen neuen und endgültigen Platz finden muss. Ich möchte dir Rose-Lotte Stein vorstellen.«
     
    Er folgte mir zu der alten Frau, die still in ihrem Sessel strickte. ErzEngel stand wie eine Löwin neben ihr, bereit jeden Angreifer zu vertreiben.
     
    Helmut sah sich in der kahlen Wohnung um, sah die alte Frau im Sessel und den grünen Schal, den sie strickte, und nickte.
     
    »Es war ein Unfall?«
     
    Wir nickten alle zusammen. Helmut nahm sich einen Stuhl und setzte sich.
     

»Es war ein Unfall.«
     
    Mit genau diesen Worten hatte meine Mutter auch meine Ausflüge in die Welt der kriminalistisch interessanten Lebensläufe unterbrochen. Denn hinter Rose-Lottes Geheimnis stand nichts als ein
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