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Herz im Spiel

Herz im Spiel

Titel: Herz im Spiel
Autoren: Sally Cheney
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Eindruck eines Märchenschlosses. Dann atmete Marianne wieder gleichmäßig. Die durch den Wein hervorgerufene Schläfrigkeit verflog vollständig und wich einem dumpfen, pochenden Kopfschmerz, und sie erkannte, dass das Gebäude natürlich nicht ganz so Ehrfurcht gebietend war, wie sie zuerst geglaubt hatte.
    Es besaß drei Stockwerke. Im Erdgeschoss verliefen zu beiden Seiten der massiven, exakt in der Mitte platzierten Doppeltüren hohe Fenster. Die Fenster im ersten Stock waren kleiner und die Fensterläden unter dem Dach nicht viel größer als ein Taubenschlag.
    Rickers half Marianne aus der Kutsche, und während er sie zum Haus geleitete, erkannte sie, dass ihr Eindruck von überwältigender Größe zum Teil darauf beruht hatte, dass das Gebäude in so auffälligem Gegensatz zu seinem verwilderten Hintergrund stand. Wäre es von einem gepflasterten Hof umgeben gewesen, mit einer breiten, geschwungenen Auffahrt, dann hätte es die Sinne nicht dermaßen getäuscht und nicht so kolossal gewirkt.
    Dennoch war es das größte Privathaus, in dem sie je gewohnt hatte, und sie musste sich zusammennehmen, um nicht Mund und Augen aufzusperren, wenn sie zu ihm aufblickte. Zuerst schien Rickers sie nur ziellos durch das hohe Gras zu führen, doch nach kurzer Zeit erkannte sie, dass unter ihren Füßen flache, ebene Steine lagen. Der Weg war, genau wie die Beete mit den bunten Mohnblumen, sorgfältig und peinlich genau so geplant worden, dass einem der Eindruck ungekünstelter, natürlicher Schönheit vermittelt wurde.
    Als sie die Türen fast erreicht hatten, verbreiterte sich der Weg endlich, und der Rasen war gemäht. Offensichtlich hatte Mr Desmond ein kleines Zugeständnis an Besucher und Gäste gemacht, die es vielleicht zivilisiert bevorzugten. Um das Haus herum verlief ein gepflasterterFußweg, und die Blumen, die vor den Fenstern blühten, mussten sich mit Pflanzenkübeln begnügen. Doch man musste dem Gebäude schon sehr nahe kommen, ehe die Illusion eines Märchenschlosses in einem verwunschenen Tal verflog.
    Rickers blieb vor den hohen Doppeltüren stehen.
    „Mrs River wird Ihnen alles zeigen“, meinte er.
    „Mrs River?“
    „Die Wirtschafterin hier auf Kingsbrook.“
    „Und wo befindet sich Mr Desmond?“, fragte Marianne. Sie hatte es eilig, den Gentleman kennenzulernen, ihm für seine Großherzigkeit zu danken.
    „Ach, ich schätze, er ist irgendwo in der Nähe. Lassen Sie sich ein bisschen von Mrs River herumführen, und dann merken Sie’s schon, wenn er auftaucht.“ Rickers stellte Mariannes Habseligkeiten ab und tippte grüßend an seine Mütze.
    „Miss Trenton?“ Erschrocken drehte Marianne sich um und sah sich einer hochgewachsenen, grobknochigen Frau gegenüber, die die Tür geöffnet hatte. Sie war nicht schön. Ihr Haar begann an den Schläfen zu ergrauen und war zu einem Knoten zurückgebunden, aber ihr Gesicht war interessant. Sie hörte gewiss mehr als nur das, was gesprochen wurde, und sie schien wahrheitsliebend zu sein. Marianne war Mrs River auf Anhieb sympathisch.
    „Miss Trenton, nehme ich an. Wir haben Sie erwartet. Wollen Sie nicht hereinkommen?“ Nach ihrem eisigen Tonfall zu urteilen, hatte die Haushälterin ihrerseits keinen vorteilhaften Eindruck von Marianne.
    „Ja. Vielen Dank“, hauchte Marianne und griff nach einer ihrer Taschen.
    „Lassen Sie nur. James wird sie Ihnen nach oben bringen.“
    Mrs River trat zur Seite, um Marianne einzulassen, und sie trat über die Schwelle in die dunkle Eingangshalle. „Ist Mr Desmond …“
    „Mr Desmond hatte heute Vormittag geschäftlich zu tun. Er hat Anweisung gegeben, Ihnen den Tee zu servieren, sobald Sie eintreffen, und sagte, er werde versuchen, so früh zurück zu sein, dass er Ihnen Gesellschaft leisten kann. Der Tee ist fertig, Miss Trenton, aber vielleicht mögen Sie sich ja zuerst ein wenig frisch machen?“
    Mrs Rivers Stimme klang jetzt nicht mehr unfreundlich, sondern ausdruckslos. Angesichts der offenen Missbilligung der Haushälterin beschlich Marianne ein flaues Gefühl in der Magengegend.
    „Ich würde mir sehr gern Gesicht und Hände waschen, falls das möglich ist“, antwortete sie dennoch mit einem Lächeln.
    „Sicher, Miss Trenton. Alice, führe Miss Trenton in ihre Räume, und bring sie dann wieder in den vorderen Salon herunter, wenn sie so weit ist“, sagte Mrs River, und Marianne sah verblüfft, wie unmittelbar neben ihr ein Dienstmädchen mit dunklem Rock, weißem Häubchen und weißer Schürze aus
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