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Herz des Winters (German Edition)

Herz des Winters (German Edition)

Titel: Herz des Winters (German Edition)
Autoren: Madeleine Puljic
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sterben sollte eine Ehre sein, vor allem für jemanden, der die Traditionen der Krieger derart hoch geachtet hatte.
    Aber seit sein Leichnam vom Schlachtfeld geborgen worden war, konnte sie an nichts anderes denken als dass, wären sie an ihrem letzten Abend nicht im Streit auseinandergegangen, sie an seiner Seite gewesen wäre. Vielleicht hätte sie sein Schicksal ändern können.
    Stattdessen waren ihre letzten Worte im Zorn gesprochen worden und er hatte mit Groll im Herzen sterben müssen.
    Das war der Grund, weshalb sie diesen Besuch so lange gescheut hatte.
    Ein Teil von ihr fürchtete, dass er ihr noch immer zürnte und ihre Anwesenheit an seiner letzten Ruhestätte missbilligen würde. Sie hatte Religion immer für Aberglauben gehalten. Aber damals hatte sie auch gedacht, Einhörner und Drachen wären nichts als Hirngespinste.
    Der vergangene Winter hatte vieles für Daena verändert, aber er hatte sie auch gelehrt, dass selbst in den bittersten Zeiten Hoffnung, Vertrauen und Zuneigung ihren Platz hatten. Und dass es nie zu spät war, einen Streit beizulegen und einem Freund beizustehen, und sei es auch nur die letzte Ehre, die sie ihm erweisen konnte.
    ***
    Berekh drückte ihre Hand und wartete, bis sie die Geste erwiderte, ehe er die lange schwarze Feder aus der Tasche seiner Robe hervorzog. Er beugte sich hinab und steckte sie aufrecht zwischen die Blüten in das Grab – ein dunkler Tribut an ein weiteres Opfer der Nekromanten.
    Kraja hatte den Saren benutzt und einfach weggeworfen, als er seinen Wert für sie verloren hatte, wie sie seit jeher mit Menschen umgegangen war, die ihr nicht gewachsen waren. Sie hatte nur eines nicht bedacht: Berekh gehörte nicht zu dieser Gruppe. Er hatte seinen Schwur nicht vergessen. Er würde Kraja töten, würde sie bis ans Ende der Welt jagen, wenn es sein musste.
    Die Warnung, die der Tatzelwurm in Liannon mit auf den Weg gegeben hatte, drängte sich in seine Gedanken: Egal, welche Entscheidungen er treffen würde, sich selbst konnte er nicht entkommen.
    Sein Weg mochte der eines Heilers sein. Doch in ihm würde immer derjenige weiterleben, den sie den Schlächter genannt hatten, und auf seine Zeit warten.
     

Daenas Tagebuch
    6. Tag des Naên im Jahr 1295
     
    Von morgens bis abends wanderte ich in die Richtung, in der ich Zivilisation vermutete. Die Straße verschlechterte sich jedoch zusehends, es schien, als wäre sie schon seit Jahren nicht mehr von Menschen, geschweige denn von Wagen benutzt worden. Die Befestigung hatte schon am frühen Vormittag aufgehört, einige Male versperrten umgestürzte Bäume und Felsen den Weg, manchmal waren ganze Teile der Straße von schweren Unwettern einfach fortgeschwemmt worden. Dort, wo der Weg nicht nur aus Staub und Gruben bestand, wucherte der Wald von allen Seiten heran, nicht selten musste ich mich durch dorniges Gebüsch schlagen.
    Mir dämmerte bald, dass ich eindeutig in die falsche Richtung lief, doch mein Stolz verbot mir, einfach umzukehren. In gewisser Weise wollte ich mir wohl beweisen, dass ich nicht jedes Mal sofort aufgab, wenn es schwieriger wurde, denn ich hatte mir die Schmach von gestern noch immer nicht verziehen. Und schließlich: Irgendwohin musste der Weg doch führen, immerhin war er früher einmal wenigstens teilweise zu einer guten Straße ausgebaut worden. Vielleicht war einfach eine bessere Verbindung nach Cyralak angelegt worden?
    Während ich mich also voranquälte, gingen mir viele Gedanken durch den Kopf. Erinnerungen an den gestrigen Tag, die Gesichter der betrunkenen Bauern aus der Schenke, aber auch an die Akademie und die Freunde und Feinde, die jahrelang um mich gewesen waren, Aufgaben, die mir gestellt worden waren … Und auch Erinnerungen an meine Kindheit drängten sich mir auf.
    Es ist seltsam, während mir manche Gespräche aus diesen Tagen noch im Gedächtnis brennen, als wären sie erst gestern geführt worden, gelingt es mir einfach nicht, die Gesichter meiner Eltern oder Geschwister heraufzubeschwören. Ich könnte jedes Astloch der Deckenbalken in unserer Stube beschreiben, jedes einzelne Brandloch in der Schürze meiner Mutter … Und ich habe noch genau den Klang ihrer Stimme im Ohr, sie hatte uns abends immer Geschichten von großen Helden und weit entfernten Orten erzählt. Ob wohl auch meine eigene Geschichte eines Tages von Kindern staunend gehört werden würde?
    Ich versuchte, mich selbst in dem strahlenden Licht zu sehen, in dem die Krieger in diesen Legenden immer
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