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Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Titel: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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daß Blut flösse, die Wirtschaft ganzer Länder ebenso an die Wand fahren wie eine dilettantisch eingeführte Währung. Im reduzierten Maßstab könne man dieses Vorgehen auch an einer beliebigen Provinzbank oder an einer Drogerienkette studieren.
    Carl von Clausewitz, der Klassiker des strategischen Denkens, habe diesen Mechanismus schon vor zweihundert Jahren beschrieben und erklärt, daß der Rückzug die schwierigste aller Operationen sei. Niemand scheine auf ihn gehört zu haben.
    »Schade«, schloß Z. diese Überlegung, »daß Einsicht offenbar nur einzelnen, niemals aber der menschlichen Gesellschaft vergönnt ist!«

240 Damit war Z. wieder einmal zu weit gegangen. »Mit der Demokratie haben Sie wohl nichts am Hut?« rief jemand. Ein schmächtiger Neuling in der Runde hob die Vorzüge der Schwarmintelligenz hervor, wurde aber als Utopist und Schwärmer zurückgepfiffen. Die friedliche Stimmung unter den Anwesenden drohte umzukippen. »Max Stirner«, warf ein anderer ein. » Der Einzige und sein Eigentum !« – »Welches Eigentum?«
    Z.s Rückfrage ging im Stimmengewirr unter. Eine resolute alte Dame, die zum ersten Mal erschienen war, schwang ihren Krückstock, um ihrer Empörung Nachdruck zu verleihen. »Das muß ich mir nicht anhören«, schrie sie. »Wenn Sie die Einsicht des Einzelnen loben, meinen Sie offenbar die Alleinherrscher und die Amokläufer? Ich weiß, wovon ich rede, denn ich kenne mich im Nahen Osten aus!«
    Z., der das alles zur Kenntnis nahm, verfiel in ein längeres Schweigen. Endlich gab er zu, daß er sich, nicht zum ersten Mal, einer Übertreibung schuldig gemacht hatte. »Das kommt davon, wenn man einen Gedanken zu Ende denkt. Auch in diesen Fehler verfällt der Einzelne eher als das Kollektiv, und schon landet er in einer Sackgasse. Ich gebe mich für diesmal geschlagen.«
    Damit war der Frieden, wenn auch nur vorläufig, wiederhergestellt.

241 Am folgenden Tag ließ sich Z., als wäre nichts geschehen, in aller Ruhe über die Tücken der Ähnlichkeit aus. »Zeigen Sie mir einen Vergleich, der nicht hinkt«, forderte er die Anwesenden auf. Als niemand dazu bereit schien, setzte er noch eins drauf. »Etwas Unvergleichliches gibt es nicht. Wer das bestreitet, verwickelt sich in einen logischen Widerspruch. Um ein Vergleichsverbot zu erlassen, müssen Sie nämlich zwischen dem, was vergleichbar ist, und dem Unvergleichlichen unterscheiden, und damit sind Sie dem, was Sie uns verbieten wollten, bereits anheimgefallen.«

242 »Sie haben mich nicht zu Wort kommen lassen«, beschwerte sich Z.
    »Wieso? Wann?«
    »Vorgestern meine ich, als vom Eigentum die Rede war. Sie sind so laut geworden, daß man sein eigenes Wort nicht mehr verstand.«
    »Was hatten Sie denn auf dem Herzen?«
    »Daß niemand genau erklären kann, was das Eigentum eigentlich ist. Sind es die eigenen Ideen? Ist die eigene DNA gemeint? Ein gewisser Eigensinn? Ein Eigentor? Soll am Ende das Eigenheim dafür herhalten oder gar das Eigenkapital? Völlig rätselhaft das Ganze, zumindest aber sehr eigentümlich.«
    »Zugegeben«, sagte der schmächtige Student. »Aber darauf kommt es eigentlich nicht an.«
    So blieb, wenigstens an diesem Tag, auch diese Frage ungeklärt.

243 Zu Unrecht, sagte Z., hafte der Flickschusterei ein schlechter Ruf an. Statt ihre Stiefel neu besohlen zu lassen, hielten sich viele an die zahllosen Schuhläden, die inden Fußgängerzonen unserer Städte wuchern. Der Mülleimer ersetze die Reparatur. Ihn hingegen überkomme stets eine gewisse Rührung, wenn er an einer der letzten verbliebenen Kunststopfereien vorbeikomme.
    »Immerhin gilt in der Politik und der Ökonomie das Flickwerk nach wie vor als non plus ultra . Die Herrschaften verbringen ihre Zeit damit, immer neue Löcher zu stopfen. Milliarden-, und wenn das nicht hilft, Billionenbudgets werden aufgeboten, um immer neue Laufmaschen zu stoppen. An neue Strümpfe ist offenbar nicht zu denken.
    Wenn die Reparatur ganz mißlingt, schlägt die Stunde der Chirurgie. Währungsschnitte müssen mit dem Skalpell durchgeführt, Metastasen operiert, Frakturen geflickt werden. Am Ende wird der Patient zugenäht, doch die Heilung währt, wie der Frieden, nicht ewig. Der Krieg macht die eben gedeckten Dächer der Hütten wieder kaputt und schlägt neue Wunden, kaum daß die Helfer abgezogen sind. Das ihre Hilfe nur vorläufig Bestand hat, macht sie noch bewundernswerter.«

244 Als jemand ihn aufforderte, er möge zu dem, wovon er hier rede, endlich
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