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Die Ueberbuchte

Die Ueberbuchte

Titel: Die Ueberbuchte
Autoren: Doris Rawolle
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1. Nostalgische Anwandlung
    In rasanter Reihenfolge wechselten sich weiße bis tief dunkelgraue Haufenwolken am sonst blauen Himmel ab.
    Knut, der regungslos an der halb offenen Balkontür lehnte, streckte das Gesicht dem wohlig milden Wind entgegen. Das tat gut! Endlich Frühling, endlich wieder Sonne die wärmte. Nicht, dass er den Winter nicht gemocht hätte, o nein, er mochte die winterliche Ruhe sogar sehr, da er, speziell für ihn als Reisebusfahrer, dies Urlaub und Entspannung bedeutete. Nun aber, durch die krankheitsbedingt längere Pause, sehnte er sich immer mehr nach dem gewohnten, alltäglichen Trott.
    Er seufzte. Einer jener unkontrollierbaren Seufzer, die ihm in letzter Zeit immer öfters entfuhren. Wieso eigentlich? Es hatte sich doch nichts verändert? Oder etwa doch …?
    Seine sehr hellen, wasserblauen Augen, blickten aufmerksam den fliehenden Wolken nach, so als erwarte er von ihnen eine einigermaßen plausible Erklärung, wegen seinen pausenlosen Stimmungsschwankungen. Aber wahrscheinlich bildete er sich das alles nur ein – er war zu lang alleine – zu lang nur mit sich beschäftigt. Jawohl, das wird es sein, dachte er irgendwie erleichtert.
    »Hallo, Knut, wenn du magst, kannst du mir beim Frühstück Gesellschaft leisten?«, rief ihm da seine Schwägerin vom Garten aus zu.
    Er beugte sich leicht über das Balkongeländer, um sie besser sehen zu können. »Gern, Franziska, ich komme sofort.« Er zog mit einem kurzen Ruck die Balkontür zu, strich mit beiden Händen das schüttere, blonde Haar glatt und verließ die Wohnung. Seine Wohnung, eine geräumige Dachwohnung im Haus seines drei Jahre älteren Bruders, die er nunmehr schon fast fünfzehn Jahre bewohnte. Vorher, bevor sein Bruder Arne dieses Haus bauen ließ, hatte er sich mit einer winzigen Stadtwohnung begnügen müssen. Zu dieser Zeit aber, war er als Fernfahrer sowieso mehr oder weniger auf der Landstraße zu Hause.
    Franziska kam ihm im Treppenhaus mit einem frisch gepflückten, bunten Tulpenstrauß entgegen. »Ist der nicht schön? Der Erste in diesem Jahr.«
    »Ja ja, die Natur ist dieses Jahr spät dran«, nickte Knut und kam nicht umhin, ihre attraktive Schönheit zu bewundern. Unglaublich, wie sie das nur machte!
    »Geh schon mal voraus ins Wohnzimmer, ich stelle nur schnell noch die Blumen in die Vase.«
    Kaum dass Knut am gedeckten Frühstückstisch Platz genommen hatte, betrat Franziska auch schon wieder das Zimmer. Lebhaft wie immer, begann sie über dieses und jenes zu erzählen. Es hatte immer den Anschein, als wenn sie möglichst alles auf einmal, in möglichst kurzer Zeit loswerden wollte. Wahrscheinlich war das auf die seltene Anwesenheit ihres Mannes zurückzuführen, die gar nichts anderes zuließ; denn oft genug sahen sie sich nur am Wochenende, wobei die stapelweise zu bearbeitenden Akten ihn außerdem beharrlich begleiteten.
    Nur hin und wieder nickte Knut zustimmend mit dem Kopf oder warf eine belanglose Bemerkung ein.
    Plötzlich aber verstummte sie, fuhr mehrmals mit der Serviette über den Mund und seufzte abgrundtief, so dass Knut verwundert aufsah und fragte: »Ist etwas, du siehst so nachdenklich aus?«
    Sie zierte sich noch einen Moment, dann aber sagte sie mit sonderbarer Betonung: »Arne trägt sich mit dem Gedanken in den neuen Bundesländer tätig zu werden.«
    »Was …!«, rief Knut erstaunt. »Ich denke er wollte nächstes Jahr in Vorruhestand gehen?«
    »Ja, das dachte ich auch – und hatte mich schon so darauf gefreut«, erwiderte sie kleinlaut.
    Knut schüttelte den Kopf. »Eine reichlich seltsame Idee; noch dazu in seinem Alter. Komisch, das soll nun einer verstehen! Aber vielleicht hat er es gar nicht so wortwörtlich gemeint, sondern einfach nur so dahingeredet. Schließlich hat er mir gegenüber nichts davon verlauten lassen.«
    »In der Tat«, sie atmete sichtbar auf, »das ist wirklich verwunderlich.«
    »Weißt du was, Franziska«, lachte er sie verschmitzt an, »wahrscheinlich wollte er dich nur mal testen – mal sehen wie du darauf reagierst. Denn, sei doch ehrlich; dieser Gedanke dürfte für euch beide ziemlich gewöhnungsbedürftig werden.«
    »Du meinst wohl, wegen der ständigen Nähe?«
    »Natürlich. Oder etwa nicht?«
    Sie senkte den Kopf und sah auf ihre im Schoß liegenden Hände. »Ach so …«, flüsterte sie kaum hörbar.
    In diesem Augenblick spürte Knut ganz deutlich, dass er die momentane Ratlosigkeit seiner Schwägerin nicht noch mehr vertiefen helfen durfte.
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