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Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Titel: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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Forderungen nach Demokratie, Logarithmen, Whiskeyflaschen und Brillen. Das mögen Wohltaten sein. Daß aber auch das MG, das KZ und der Terrorismus auf die Kappe Europas gehen, sollte darüber nicht vergessen werden.«

233 »Erlauben Sie«, fragte Z., »daß ich auf die Kunst des Bleibenlassens zu sprechen komme?«
    Damit kam er nicht gut an. Ein alter Herr, der im Rollstuhl saß, winkte schon nach seinen ersten Worten ab. Aber Z. ließ sich nicht so leicht bremsen. »Die meisten Menschen«,klagte er, »können einfach nicht aufhören, ganz egal, ob es um die Vergrößerung eines Imperiums oder um einen gewöhnlichen Ehekrach geht. Das ist schade.«
    Der fröstelnde Herr im Rollstuhl wollte sich damit nicht abfinden.
    »Wieso?« krächzte er. »Das meiste hört ganz von selbst auf, wenn man nur abwartet. Dafür sorgt die Natur, indem sie uns auf die eine oder andere Weise umbringt. Ich sehe nicht ein, warum wir ihr dabei zur Hilfe kommen sollten.«
    »Guter Freund«, antwortete ihm Z., »es ist löblich, daß Sie den Selbstmord mißbilligen. Aber solange nicht alles von selbst aufhört, sollten wir den Frieden bevorzugen, auch wenn uns das schwerfällt.«

234 »Ich darf annehmen«, sagte Z., »daß die meisten von Ihnen eine Rechenmaschine besitzen. Dann wissen Sie wohl, was ein solches Gerät sich alles merken kann, wie schnell es sich durch ganze Enzyklopädien und Telephonbücher wühlt und durch was für abwegige Kombinationen es unsverblüfft. Dies, obwohl es von Jahr zu Jahr immer kleiner und kleiner wird. Ein wunderbares Spielzeug!
    Aber haben Sie sich schon einmal gefragt, warum diese Maschinen dazu neigen, alles umzutaufen? Ein Liebesbrief oder eine Kinderzeichnung nennen sie ein ›Dokument‹. Was wir für Foto oder für eine Sonate halten, bezeichnen sie als ›Datei‹. Obwohl weit und breit kein Schreibtisch zu sehen ist, geschweige denn eine Platte, wollen sie uns weismachen, wir hätten es mit einem Desktop zu tun .
    Und das ist erst der Anfang. Denn hinter der ›Benutzeroberfläche‹ tut sich eine Welt auf, die ebenso esoterisch ist wie die der Hobbits. Dort gibt es Migrationen ohne Wanderer und Administratoren, die niemand ernannt hat. Wer dort landet, stößt unversehens auf eine Registry , von der nicht klar ist, was sie registriert, oder auf magische Orte, die Spool und Shell heißen. Sind das wirklich Muscheln oder Spulen? Gefahr droht auch im BIOS, in der Assembly oder im System 32. Das alles kann ich mir unmöglichmerken. Eine Warnung habe ich mir auf einen Zettel geschrieben. Hier! Dort heißt es: ›AzSqlExt.dll‹ und ›C_1142.Nls‹. Wehe mir! Wehe dem Ahnungslosen, der nicht booten kann! Sobald er auf die falsche Taste drückt, wird ihn der rätselhafte, aber tödliche ›Fehler 1321‹ dahinraffen.«
    »Ja, das alles mag ärgerlich sein«, riet ihm der gewiefte Siebzehnjährige, auf dessen Mütze die Firma syntec.com für sich warb, »aber bitte zertrümmern Sie nicht Ihre Rechenmaschine. Sie kann nichts dafür. Das ganze Abrakadabra geht auf die Kappe ihrer Züchter, der Ingenieure und Programmierer. Die haben Ihre Hart- und Weichware entwickelt und der Maschine ihren barbarischen Soziolekt eingeflößt. Daher kommt es, daß Sie, der arme Kunde, der zum user geschrumpft ist, das digitale Wunderwerk am liebsten an die Wand werfen und sich den altertümlichen Medien anvertrauen möchten, die da heißen: Papier und Bleistift.«

235 Ein anderes Mal zitierte Z. Ossip Mandelstam. Der soll gesagt haben, zu denwichtigsten Tugenden eines Dichters zähle die Aufmerksamkeit. »Leider verstehe ich wenig von der Poesie«, sagte Z., »aber ich glaube, daß dieser Satz für uns alle gelten kann.«

236 Einmal kam Z. auf das Klo zu sprechen. Diese Einrichtung, die sich so sonderbare Namen wie Null-Null, Toilette oder Naßzelle gefallen lassen müsse, sei der einzige Ort, der uns einen gewissen Schutz vor den Zumutungen der Außenwelt biete.
    »Wir können uns dort nicht nur in aller Ruhe erleichtern, sondern das Klo bietet auch der privaten Lektüre eine ideale Zuflucht. Niemand weiß, auf wie viele gute Ideen die Menschen an diesem stillen Ort gekommen sind. Und wo sonst könnten sie sich ungestört der Meditation hingeben?«
    »Aber nur so lange, bis jemand, der es eilig hat, gegen die Tür hämmert«, wandte der Junge mit der lila Baseballkappe ein, der plötzlich wieder aufgetaucht war, aber für die Idylle, von der Z. sprach, offenbar wenig übrig hatte.

237 »Neuerdings ist wieder des
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