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Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Titel: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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polemisieren:
    »Das Verhältnis von Kapital und Arbeit ist semantisch derart versaut, daß sich jeder, der nicht von allen guten Geistern verlassen ist, an den Kopf greift. Das fängt an mit dem sprachlichen Salto, den die Tarifpartner vorführen, indem sie zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern unterscheiden. Dabei ist es natürlich der Unternehmer, der die Arbeit entgegennimmt, und nicht umgekehrt; sonst würde er ja nicht dafür bezahlen.
    Ebenso absurd mutet die Rede von den Arbeitsplätzen an. Sie werden, wie es heißt, geschaffen, ein Akt, der an die Genesis erinnert. Dann müssen sie erhalten, gerettet oder, wenn es nicht anders geht, wieder vernichtet werden. Der wichtigste Unterschied zu einem Parkplatz besteht darin, daß für ihn eine Gebühr entrichtet werden muß,während der Arbeitsplatz seinem Besitzer Geld einbringt. Stech- und Parkuhren messen, wieviel Zeit jeweils vergangen ist.
    Die Frage, um welche Beschäftigungen es geht, wird nie gestellt. Jeder Arbeitsplatz ist verehrungswürdig und wird erbittert verteidigt, auch wenn es sich um vollkommen sinnlose oder sogar sozialschädliche Leistungen handelt.«

224 »Ich fürchte Sie zu ermüden, wenn ich einige davon aufzähle. Legionen von Steuerberatern ringen Tag für Tag mit einem undurchdringlichen Dickicht von Vorschriften und Erlassen; erbarmungswürdige Kontrolleure müssen Passagieren Gürtel, Parfümfläschchen und Feuerzeuge abnehmen; Hundestaffeln suchen nach Haschischplätzchen; Curriculumsforscher belästigen überforderte Lehrer mit immer neuen Reformen; korrupte Sportfunktionäre vergällen den teuren Spaß an irgendwelchen Meisterschaften; und ratlose Berater sind mit der Zertrümmerung intakter Firmen beschäftigt. Die Entsorgung dieser und vieler anderer Arbeitsplätze wäre ein Segen, um den die menschliche Gesellschaft vergebens fleht.«

225 Einem Zaungast, der zu wissen vorgab, daß in höchstens zehn Jahren in Europa die Lichter ausgehen würden, hielt Z. vor, daß er sich mit solchen Prognosen unbeliebt mache. Natürlich sei das sein gutes Recht, siehe Kassandra. Er brauche hierzulande auch nicht zu befürchten, daß man ihn, wie die Tochter des Priamos, erdolchen werde. Statt zu sagen: »Ich habe recht«, rate er ihm jedoch, sich in Geduld zu üben. Im besten, also schlimmsten Fall könne er dann immer noch behaupten: »Ich hatte recht«, oder »Ich habe es ja gleich gesagt«. Nur halte er, Z., wenig von der Genugtuung, die das dem Hellseher bereiten könnte.

226 »Ich habe einen italienischen Freund«, erzählte Z., »der den Philosophen mißtraut, besonders denen, die aus einem gewöhnlichen Verbum ein Substantiv machen. Sie schreiben das Sein groß und schmücken esnoch dazu mit allerhand Vorsilben. Sie wollen uns mit dem Geworfen-Sein , dem Da-Sein , dem In-der-Welt-Sein heimleuchten, ganz zu schweigen vom Seyn mit Ypsilon und dem Sein des Seienden .« Er verlasse sich lieber auf die gewöhnlichen Flexionsformen:
    ich bin , du bist , er oder sie oder es ist ,
    wir sind , ihr seid , sie sind .
    Mit ihnen komme er ohne weiteres aus und riskiere nicht, in einem Wolkenkuckucksheim zu landen.

227 Gegen Abend, nachdem Z. sich verabschiedet hatte, äußerte einer sich abfällig über seine Geheimniskrämerei. Eigentlich wisse man sehr wenig über ihn. »Hat er keine Familie?« hieß es. »Was treibt dieser Mann den ganzen Tag? Über ein Privatleben scheint er nicht zu verfügen. Was hat Herr Z. zu verbergen?«
    »Diese Fragen sind überflüssig«, erwiderten wir diesem Störenfried. »Seien wir froh, daß er uns mit seiner Biographie nicht behelligt, und daß er von dem schweigt, was unsnichts angeht.«

228 »Meinetwegen«, sagte der Zweifler. »Aber letzten Endes ist euer Z. doch nur ein Sprücheklopfer. Ich sehe nicht ein, warum ich mich von ihm einschüchtern lassen sollte.« – »Es gefällt ihm doch, wenn man ihm widerspricht.« – »Aber wenn er seine Gedanken loswerden will, warum schreibt er dann nicht ein Buch?« – »Seit wann muß ein Philosoph drucken, was er denkt? Heraklit und Zenon kennen wir nur vom Hörensagen, ebenso wie Konfuzius und Jesus. Und was war Sokrates anderes als ein Sprücheklopfer?« – »Nichts gegen Herrn Z., aber eure Vergleiche hinken«, meinte ein dritter. »Mir kommt er eher wie ein Rentner vor, der sich langweilt.«

229 Ein anderes Mal entschuldigte sich Z. dafür, daß er sich auch noch in die Thermodynamik einmische; er sei schließlich kein Physiker. »Aber ich kenne ein paar von
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