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Herren der Tiefe

Herren der Tiefe

Titel: Herren der Tiefe
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wenn er unvermittelt dessen Stimme hörte. Es war wirklich nicht jedermanns
Sache, eine Stimme direkt in seinem Kopf zu vernehmen.
Noch viel weniger, wenn man bedachte, wem diese Stimme
gehörte… »Das ist ein Unterschied«, sagte er laut. »Ich bin nur
auf dem Papier ein Prinz. Wenn überhaupt noch, dann gehört
mir ein winziges Stück von Indien. Nicht ganz Atlantis.«
Aber dein Königreich ist wenigstens nicht mit Mann und Maus
im Meer versunken. Astaroth hab den Kopf, blickte Mike einen
Moment lang aus seinem einzig sehenden Auge an und gähnte
dann ungeniert und sehr ausgiebig. Der schwarze Kater hatte
sich neben Serena auf dem Kopfkissen zusammengerollt. Sein
buschiger Schwanz lag wie eine Stola um Serenas Hals und bildete so einen deutlichen Kontrast zur Blässe ihrer Haut. Serenas
Gesicht war so bleich, daß es sich kaum von dem Kissen abhob,
auf dem es lag. Es war die Blässe eines Menschen, der noch
niemals die Sonne gesehen hatte.
Mike ging langsam weiter, setzte sich auf die Bettkante und
griff nach Serenas Hand. Astaroths Blick folgte der Bewegung,
aber er erhob keine Einwände. Mike war der einzige an Bord,
der Serena berühren durfte, ohne daß der Kater ihn anfauchte
oder gleich mit den Krallen nach ihm schlug.
» Wir tauchen bald auf«, sagte Mike. Er ergriff Serenas Hand
fester. Ihre Haut fühlte sich so kalt und glatt wie weißes Porzellan an, und Mike überlief ein Schaudern. »Wir müssen die Sauerstofftanks auffüllen.«
Ich weiß, antwortete Astaroth auf seine lautlose Art.
Mike blickte den Kater vorwurfsvoll an.
»Du hast schon wieder meine Gedanken gelesen«, sagte er.
»Ich hatte dich gebeten, das nicht mehr zu tun.«
Habe ich nicht, behauptete Astaroth.
»Lüg nicht auch noch!« sagte Mike scharf.
Ich lüge nicht, erwiderte Astaroth beleidigt. Menschen lügen.
Katzen niemals.
»Ja, das Problem ist nur, daß du keine Katze bist!« erwiderte
Mike. Astaroth hielt seinem Blick noch eine Sekunde lang stand,
dann rollte er sich wieder auf dem Kissen zusammen und begann wohlig zu schnurren. Abgesehen von seiner Größe hätte
man ihn so wirklich für ein harmloses kleines Kätzchen halten
können, an dem absolut nichts Ungewöhnliches war. Aber das
stimmt nicht. Er sah zwar aus wie eine Katze, aber er war mehr
als das.
»Du liest also doch meine Gedanken!« wiederholte
Mike
laut.
Nur jetzt, behauptete Astaroth. Vorher nicht. »Ach? Und woher hast du dann gewußt, daß wir auftauchen, noch bevor ich es
dir gesagt habe?«
Von Trautman, antwortete Astaroth ungerührt. Ich habe seine
Gedanken gelesen.
Mike gab auf. Es hatte sehr wenig Sinn, mit einer Katze zu diskutieren. Das war schon bei einer ganz normalen Katze ein fast
aussichtsloses Unterfangen. Bei Astaroth bedeutete es reine
Zeitverschwendung. Er wandte sich Serena zu.
Das Mädchen lag völlig reglos da, so wie es die ganze Zeit
über dagelegen hatte – die Woche, die vergangen war, seit sie
sie an Bord der NAUTILUS gebracht hatten, und auch die ungezählten Jahrhunderte zuvor, die sie schlafend in ihrer Kuppel auf
dem Meeresgrund verbracht hatte. Er dachte wieder daran
zurück, wie
sie Serena in einem gläsernen Sarg schlafend gefunden hatten, und er fragte sich, ob es wirklich Zufall war,
daß ihn das Bild so an das Märchen von Dornröschen erinnerte.
    Vielleicht ist es genau anders herum, sagte Astaroth. Man sagt
doch, daß jede Legende einen wahren Kern hat, oder? Denk mal
darüber nach. Dann fügte er hinzu: Entschuldige.
    Mike sah den Kater zwar böse an, aber er war wirklich verärgert. Es dauerte eben eine Weile, bis man sich an die Tatsache
gewöhnt hatte, in der Gesellschaft eines Wesens zu sein, das
jeden Gedanken so deutlich vernahm wie ein laut ausgesprochenes Wort. Mike lächelte dem Kater zu und legte Serenas Hand
behutsam auf das Bett zurück. Sie reagierte auch darauf nicht,
nur die Augen hinter den geschlossenen Lidern bewegten sich
leicht, wie bei einem Menschen, der einen besonders intensiven
Traum hat. Mike fragte sich, ob Serena träumte? Und wenn ja,
was?
    Das tut sie, sagte Astaroth. Oder was glaubst du sonst, woher
der Sturm kommt, vor dem ihr seit einer Woche davonzurennen
versucht?
    Das war die Antwort auf eine andere Frage, die sich Mike
insgeheim auch schon gestellt hatte, und diese Antwort führte
zu einem schrecklichen Gedanken:
    »Willst du damit sagen, daß sie die ganze Zeit über geträumt
hat?« fragte er verstört. »Die ganzen Jahre?«
Darauf antwortete der Kater nicht.
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