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Herren der Tiefe

Herren der Tiefe

Titel: Herren der Tiefe
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Sturm. Nicht nur, daß er die
ganze Zeit mit ungebrochener Kraft gewütet hatte – er folgte ihnen. Die NAUTILUS war während der letzten Tage mit Höchstgeschwindigkeit gefahren, und das war um einiges schneller, als
jedes andere Schiff auf der Welt sich fortzubewegen imstande
war, aber der Sturm war nicht hinter ihnen zurückgeblieben.
An diesem Punkt seiner Überlegungen angelangt, zog Mike es
vor, den Gedanken nicht weiter zu verfolgen. Er gab sich einen
Ruck.
»In Ordnung. Ich gehe gleich zu ihr.«
Trautman und er verließen hintereinander den Turm
und
gingen die Treppe hinab, die tiefer in den stählernen Leib der
NAUTILUS hinunterführte. Der alte Steuermann und Singh, der
sich als erstaunlich geschickter Mechaniker herausgestellt hatte, hatten die Tage, die der Sturm sie unter die Wasseroberfläche getrieben und zur Untätigkeit verdammt hatte, dazu genutzt, das Schiff gründlich durchzuchecken und auf Vordermann zu bringen. Und sie hatten dabei wahre Wunder vollbracht. Wie ein großes, mächtiges Tier, das allmählich aus dem
Winterschlaf erwachte und die Kontrolle über seinen Körper
langsam zurückgewann, gewannen die geheimnisvollen Maschinen und Geräte der NAUTILUS immer mehr an neuem Leben.
Mike lächelte, als ihm klar wurde, wie passend dieser Vergleich war. Die NAUTILUS trug nicht nur den Namen eines
Meeresbewohners, mit ein bißchen Phantasie betrachtet, ähnelte
sie ihm auch. Und nicht nur das: Das Schiff war tatsächlich vor
noch nicht allzu langer Zeit aus einem Schlaf erwacht, der länger als ein Jahrzehnt gedauert hatte. Und wie immer, wenn Mike daran zurückdachte, überkam ihn eine Mischung aus Staunen und Ehrfurcht, das gleiche Gefühl, das er auch gehabt hatte,
als er die NAUTILUS zum ersten Mal sah, und das er nie mehr
verloren hatte.
Es war noch nicht lange her, da war Mike ein ganz normaler
Schüler eines ganz normalen Internats in London gewesen. Aber
dann, an jenem schicksalhaften Tag kurz vor dem Weihnachtsfest
des Jahres 1913, hatte er erfahren, daß er nicht der war, für den
er sich bis zu jenem Tag gehalten hatte. Er hatte erfahren, daß
sein Vater ihn unter einem falschen Namen und mit einer geschickt gefälschten Lebensgeschichte in jenem Internat in England untergebracht hatte, um seinem Sohn das Schicksal zu ersparen, das sein eigenes Leben bestimmt hatte: das Schicksal des
Gejagten, des ewig Gehetzten, der immer auf der Flucht war und
nirgendwo auf der Welt wirklich Ruhe zu finden vermochte.
Denn Mikes Vater, den er selbst bis zu diesem Zeitpunkt für einen wohlhabenden indischen Fürsten gehalten hatte, der zusammen mit seiner englischen Frau kurz nach Mikes
Geburt
ums Leben gekommen war, war in Wahrheit niemand anders als
der legendäre Kapitän Nemo gewesen.
Aber das Schicksal läßt sich nicht betrügen. Mike hatte nicht
nur das Vermögen und den Titel seines Vaters geerbt, sondern
anscheinend auch den Fluch, der auf dessen Leben gelastet hatte.
Nach einer Reihe ungewöhnlicher und gefährlicher Abenteuer
hatte es ihn und seine Freunde schließlich auf eine winzige Insel
verschlagen, auf der sie das Wrack der NAUTILUS fanden, das
vom letzten noch lebenden Freund seines Vaters – Trautman
nämlich – bewacht und beschützt wurde. Und seither befanden
sie sich ununterbrochen auf der Flucht. Sie hatten nicht nur
Abenteuer erlebt, die er sich vor ein paar Monaten nicht einmal hätte vorstellen können, er hatte auch einen guten Freund
verloren, und diese Erinnerung tat weh. Er schob die Gedanken
beiseite, denn nun hatte er Serenas Kabine – die vor ein paar
Tagen noch seine eigene gewesen war – erreicht.
Er klopfte an, wartete aber nicht, ob jemand antwortete, sondern trat sofort ein. Das war keine Unhöflichkeit; der einzige
Bewohner, den die Kabine im Moment mit Ausnahme des schlafenden Mädchens hatte, konnte ihm nicht antworten. Wenigstens nicht laut.
Mike näherte sich dem Mädchen auf dem Bett sehr leise, obwohl er genau wußte, daß selbst der größte Lärm Serena nicht
geweckt hätte. Aber es war mit diesem Mädchen ein bißchen so
wie mit dem Schiff: Jedesmal, wenn er sie sah, überkam ihn
eine Art… Ehrfurcht. Ein merkwürdiges Gefühl, ein Mädchen anzusehen, das weit über zehntausend Jahre zählte und
außerdem eine leibhaftige Prinzessin war.
Na und? Du bist ein leibhaftiger Prinz. Wo ist der Unterschied?
Die paar Jährchen!
Mike fuhr zusammen. Obwohl Astaroth genauso lange wie Serena an Bord war, erschrak Mike noch immer,
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