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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann
Autoren: Sven Regener
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Herr Lehmann, soviel ist sicher, und daß sie nicht die Hellste ist, ist gewiß nicht ihre Schuld, dachte Herr Lehmann, sie ist eben nur eine einfache Frau, dachte er, obwohl ihm der Begriff ‘einfache Frau’ dabei unangenehm aufstieß, das ist kein guter Begriff, einfache Frau’, dachte er, das ist bourgeoiser Bildungsbürgerscheiß, dachte Herr Lehmann.
    “Ernst, willst du nicht mal mit ihm sprechen? Er redet so komisch!”
    “Mutter, was soll das denn jetzt?”
    Aus der Tiefe der fernen Wohnung seiner Eltern war ein abwehrendes Gemurmel zu hören.
    “Immer soll ich ihn anrufen”, hörte Herr Lehmann seine Mutter sagen.
    “Dabei war es doch deine Idee …”
    “Was jetzt, Mutter, was ist los? Willst du lieber erst mal in Ruhe mit deinem Mann sprechen? Und dann später noch mal anrufen? Denk an die Kosten”, spielte Herr Lehmann einen weiteren Trumpf aus.
    Aber seine Mutter hörte nicht zu. Herr Lehmann, der nur mit einer Unterhose bekleidet war, und er ging immer mit Unterhose ins Bett, seit ihm einmal eine frühere Freundin erklärt hatte, daß es unhygienisch sei, nackt zu schlafen, und daß die dauernde Kochwäscherei verschmutzter Laken, um die Herr Lehmann sie im übrigen nie gebeten hatte, eme Umweltsauerei ersten Ranges sei, versuchte die Zeit, in der seine Mutter damit beschäftigt war, einen wahrscheinlich auch schon ins dreißigste Jahr gehenden Konflikt nicht erkalten zu lassen, dadurch zu nutzen, daß er in die Küche hinüberging, um dort unter äußerster Anspannung beider Telefonschnüre, sowohl der glatten, aber dennoch stets verwickelten wie auch der von Natur aus spiralförmigen, einige Gläser Leitungswasser zu trinken und einen Kessel Kaffeewasser aufzusetzen.
    “Hallo, hallo”, rief er in den Hörer, während er mühsam den Gasherd entzündete, und “Ich bin auch noch da!”, während er zwei Löffel Kaffee in einen Becher tat, aber in Wirklichkeit genoß er diese Atempause, trotz der schwierigen Kopfhaltung, die er einzunehmen gezwungen war, um am Ball zu bleiben.
    “Du sagst doch immer, daß wir ihn anrufen sollen, und ich soll das dann immer tun.”
    “Hab … nicht …”
    “Das ist ja nun die Höhe. Wer hat denn gerade …”
    “Was kann ich dafür, daß …”
    “… seit Jahren schon, und immer heißt es hinterher, das hätte ich aber…”
    “Ich habe nicht gesagt, daß … , ich habe nur gesagt, daß ihm einer Bescheid …”
    “Und was soll das nun wieder heißen, daß ihm einer Bescheid sagen muß, wer soll das denn sein, wenn nicht ich?”
    “Was Bescheid sagen?” warf Herr Lehmann in den Äther, während er, der er Kaffeemaschinen nicht leiden konnte und sowieso der Meinung war, daß der Filter in der Geschichte des Kaffees einen der größten Irrtümer überhaupt darstellte, weil der direkt aufgegossene Kaffee viel gesünder war, schon deshalb, weil auf diese Weise all jene Schwebstoffe, die der Filter sonst zurückhielt, dazu beitrugen, die Wirkung des Koffeins über eine längere Zeit zu verteilen und damit einen negativen Effekt auf den Kreislauf in jeder Form zu verhindern, sich etwas aufgoß, was er, seit seine alte Kaffeemaschine nicht mehr funktionierte, euphemistisch als Cowboykaffee bezeichnete.
    “WAS BESCHEID SAGEN?” schrie er in den Hörer, nicht so sehr aus Erregung, sondern in dem schlichten Bedürfnis, dem Wahnsinn ein Ende zu machen. “HALLO, HALLO, MUTTER, HALLO MUTTER, HALLO, MUTTER, MUTTER …”
    In diesem Moment, und das war Herrn Lehmann, der eigentlich schon lange nichts mehr darauf gab, was die Nachbarn von ihm dachten, weil er sie allesamt für asoziale Vollidioten hielt, vor allem dann, wenn sie ihrer Vorliebe für Kurzgebratenes frönten und das Treppenhaus und manchmal sogar seine Wohnung mit billigem Fett ausräucherten, dann doch unangenehm, klopfte es laut durch die Wand. Das ist die blöde Schnappe mit den Rastalocken, dachte er, und ihm wurde bewußt, was für Mißverständnisse entstehen konnten, wenn ausgerechnet diese Frau mit anhörte, wie er laut und ohne Unterlaß nach seiner Mutter schrie.
    “Was willst du denn, Frank?” meldete sich ebendiese Mutter zurück.
    “Mutter, du hast mich angerufen, hast du das vergessen? Ich stehe hier rum und höre euch bei euren Streitereien zu.”
    “Das ist doch kein Streit, wie kommst du jetzt darauf, daß wir uns streiten, Streit ist ja nun wirklich was ganz …”
    “Denk an die Kosten”, ermahnte Herr Lehmann seine Mutter aufs neue.“Und sag mir endlich, was du eigentlich
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