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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann
Autoren: Sven Regener
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schönen Schluck. Gleiche Chancen für alle, dachte er, sonst ist das unfair. Der Hund schaute ihn kurz mit glasigen Augen an und leckte dann weiter.
    “Du bist gleich so was von k.o., das schwör ich dir aber. Buh!” Herr Lehrmann stieß die Flasche zum Hund hin durch die Luft, aber der reagierte gar nicht. Er leckte weiter, bis nichts mehr da war, und versuchte dann, auf die Beine zu kommen.
    “Gar nicht mehr so einfach, was?” Herr Lehmann nahm einen letzten Schluck, spritzte aus purem Übermut noch etwas von dem Whisky über den Hund und stand dann selber mit wackligen Beinen auf. Der Hund machte einen kleinen Gehversuch und zog unsicher die Lefzen hoch, als Herr Lehmann ihn ganz sacht mit dem Fuß unterm Kinn berührte. Er gurgelte etwas, das wohl ein Knurren sein sollte.
    “Aus dem Weg, Schurke!” rief Lehmann großartig und schob ihn mit dem Fuß so gut es ging beiseite. Der Hund versuchte den Fuß zu erschnappen, aber das klappte nicht mehr. Er war zu langsam. Lehmann trat ihn um.
    Komm doch her! “Komm doch, wenn du was willst, du fette Wurst!” Der Hund rappelte sich hoch, stellte sich quer und lehnte sich an Herrn Lehmanns Beine.
    “Weg da, Scheißkerl”, sagte Herr Lehmann, aber jetzt, wo sich das häßliche Tier so vertrauensvoll und haltsuchend an ihn schmiegte, tat es ihm ein bißchen leid. Er trat ein wenig zurück, und der Hund kippte langsam nach, bis sein schwerer Körper auf Herrn Lehmanns Füßen lag. Herr Lehmann kam aus dem Gleichgewicht, ruderte mit den Armen und fiel über den Körper des Hundes hinweg auf den Boden, wobei er nur mühsam verhindern konnte, daß die Flasche zerbrach.
    “Was machen Sie denn da?”
    Herr Lehmann schaute hoch und sah über sich zwei Polizisten. Er hatte sie gar nicht kommen hören.
    “Mußte mir den Hund vom Leibe halten”, sagte er. “Wenn man einen braucht, ist ja keiner da. Von euch, meine ich. Nicht den Hund. Hab schon alles erledigt. Alles im Griff, Leute, ehrlich.”
    “Der ist total besoffen”, sagte der eine Polizist, der etwa Herrn Lehmanns Alter hatte.
    “Nun stehen Sie mal auf”, sagte der andere, der um einiges älter war.
    “Ist nicht so einfach”, sagte Herr Lehmann, “der scheiß Hund, Sie sehen ja selbst, das sehen Sie doch.” Er stützte sich auf Arme und Beine, aber der Hund, der sich unter ihm wälzte, und die Flasche, die er noch immer in der Hand hielt, machten es ihm schwer. Der jüngere Polizist nahm ihm die Flasche aus der Hand und zog ihn, unangemessen grob, wie Herr Lehmann fand, in die Höhe.
    “Ist das Ihr Hund?” fragte der andere streng.
    “Nein, scheiß Hund!” Leicht schwankend stand Herr Lehmann vor ihnen und versuchte, die Flasche zu erhäschen, aber die Polizisten ließen es nicht zu. “Hat mich bedroht, der scheiß Hund. Konnte nicht nach Hause.”
    Die Polizisten sahen beide zum Hund, der gar nicht mehr gefährlich aussah und bloß hechelnd und mit heraushängender Zunge ins Nichts starrte. Der jüngere von ihnen ging in die Hocke und streichelte das Tier über den Kopf. Der Hund versuchte aufzustehen, aber das gelang ihm nicht mehr.
    “Der ist ja besoffen”, sagte der hockende Polizist.
    “Das ist Tierquälerei, das gibt eine Anzeige, das ist strafbar”, sagte der Andere.
    “Wegen Tierquälerei.”
    Sie wiederholen sich, dachte Herr Lehmann, das tun so Leute immer, sie sagen immer und immer wieder dieselben Worte.
    “Das arme Tier, Sie haben dem ja Alkohol eingeflößt, das ist Tierquälerei.”
    “Sie sollten sich was schämen. So ein wehrloses Tier!”
    “Wehrlos? Ha!” empörte sich Herr Lehmann. “Das war Notwehr, ich hatte keine Wahl und so.” Er war viel zu müde, um das genauer zu erklären. “Das war Notwehr. Ging nicht anders. Punkt”, sagte er. “Ganz klare Sache. Kein Thema.”
    Die Polizisten glaubten ihm nicht. Sie wollten seinen Ausweis sehen und nahmen seine Personalien auf.
    ” So, Herr Lehmann!” sagte der ältere von beiden, als er ihm seinen Aus”weis zurückgab. “Sie hören von uns. Und jetzt machen Sie, daß Sie nach Hause kommen. Den Hund nehmen wir mit, den sehen Sie nie wieder. Tierquälerei ist das, ich habe selbst einen Hund, eine Schande ist das.”
    “Hoffentlich”, sagte Herr Lehmann.
    “Hoffentlich was?”
    “Seh ich den nie wieder.”
    “Hauen Sie ab, aber ganz schnell, bevor ich mich vergesse!”
    Herr Lehmann ging müden Schritts davon. Am Eingang der Eisenbahnstraße schaute er sich noch einmal um und sah, wie die beiden Polizisten das fette
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