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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann
Autoren: Sven Regener
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willst, bitte”, erniedrigte er sich hinzuzufügen,” bitte Mutter, was willst du eigentlich?”
    “Also, man kann seinen eigenen Sohn ja wohl auch mal ohne Grund …”
    “Ja, Mutter”, unterbrach Herr Lehmann beschwichtigend, ja, natürlich.”
    “… da braucht man ja wohl wirklich keine Rechenschaft abzulegen, wenn man den eigenen Sohn …”
    “Ja, Mutter! Ist schon gut”, bemühte sich Herr Lehmann eine Situation zu entspannen, von der er wußte, daß sie unendlich weit eskalieren konnte, hier war alles möglich, bis hin zu Tränen.
    “Wir kommen nach Berlin!”
    Darauf war Herr Lehmann nicht vorbereitet, das war ein harter Schlag. So hart, daß Herr Lehmann schwieg. Sie kommen nach Berlin, sie kommen nach Berlin, dachte er und konnte es sich einfach nicht vorstellen.
    “Frank, bist du noch da?”
    “Ja, Mutter. Wieso kommt ihr nach Berlin?”
    “Aber Junge, das wollten wir doch immer schon mal.”
    “Davon”, sagte Herr Lehmann gereizt, “habe ich noch nichts gemerkt. In den ganzen Jahren, in denen ich jetzt hier wohne, habe ich davon noch nichts gemerkt, Mutter, daß ihr nach Berlin kommen wollt.”
    “Aber sicher doch, da war doch oft die Rede von.”
    “Nein, Mutter”, sagte Herr Lehmann, “davon war nie die Rede. Es war immer die Rede davon gewesen, daß ihr nicht nach Berlin kommen wollt, weil euch das mit der DDR nicht geheuer ist und mit durch den Ostblock fahren und so, und daß ihr euch nicht von den Vopos demütigen lassen wollt und der ganze Quatsch.”
    “Aber Frank, wirklich, das ist doch heute alles gar nicht mehr so schlimm,nun stell dich mal nicht so an.”
    “Ich? Wieso ich? Was heißt denn jetzt, ich soll mich nicht so anstellen?”
    “Das sind doch ganz olle Kamellen, das ist doch schon lange nicht mehr so schlimm heute, da gibt es doch Verträge und so.”
    “Das habe ich immer gesagt, ihr habt aber gesagt …”
    “Jetzt stell dich doch nicht so an wegen ein paar Polizisten wir haben ja nun wirklich nichts verbrochen, da brauchen wir gar nichts zu befürchten.”
    “Ich stelle mich nicht an.”
    “Das klang mir aber eben noch ganz anders.”
    “Das bringt jetzt nichts, dachte Herr Lehmann resigniert. Man kommt nicht dagegen an.
    “Wann kommt ihr denn?” wechselte er das Thema.
    “Das ist eine ganz tolle Sache”, sagte seine Mutter. “Das ist alles inklusive, Busfahrt, Hotel und ein Theaterbesuch.”
    “Ja, aber wann kommt ihr denn?”
    “Das ist ein Theater am Kurfürstendamm, da soll der Ilja Richter mitspielen, das heißt, das heißt … Ernst, wie heißt das noch mal, was die da spielen? … Na, in dem Theater! … Natürlich, mit dem Ilja Richter … Was? … Nein, der doch nicht … Bist du sicher?”
    “MUTTER!”
    “Harald Juhnke, das ist mit Harald Juhnke, sagt dein Vater”, sagte Herrn Lehmanns Mutter.
    “Mutter, wann? Wann kommt ihr denn nun, verdammt noch mal?!”
    “Ach so, das ist noch ein bißchen hin, das ist Ende Oktober erst, wann ist das noch mal, Ernst?”
    “Ende Oktober”, entfuhr es Herrn Lehmann heftiger als er wollte. Ende Oktober, verdammte Scheiße, das ist ja noch sechs Wochen hin oder länger oder was … Er war sich über das heutige Datum nicht ganz sicher, es war nur irgendwie Anfang September, soviel war klar. “Ihr kommt Ende Oktober, und da rufst du mich heute schon deswegen an. ” Aber eigentlich ist es falsch, hier zu protestieren, dachte er gleichzeitig, das ist ungerecht, es ist nur fair, wenn man lange vorher gewarnt wird, so etwas will vorbereitet sein.
    “Aber freust du dich denn gar nicht? Und was soll das heißen, mit solchen Wörtern zu kommen, wenn die …”, ab diesem Moment wurde die Stimme von Herrn Lehmanns Mutter brüchig, und er wußte, daß jetzt alle Dämme brechen würden, “… eigenen Eltern zu Besuch kommen, und das nach all den Jahren, wo du schon da wohnst, und ich hatte mich schon so gefreut, endlich mal zu sehen …”, jetzt war der Tränenfluß in vollem Gange, Herr Lehmann konnte das an ihrer Stimme hören, die dennoch nicht in diesen Tränen erstickte. Sie kann das gleichzeitig, dachte Herr Lehmann, volle Pulle weinen und normal weiterreden, dachte er, sich selbst in eine tiefe Erbitterung hineinsteigernd, immer und immer weiterreden, “… wie du eigentlich lebst”, fuhr seine Mutter fort, und dann das Restaurant, wo du arbeitest, und was du für Freunde hast, und überhaupt muß man doch …”
    “Wollt ihr mich jetzt besuchen oder wollt ihr mich überwachen?” entfuhr es
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