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Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Titel: Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!
Autoren: Joshua Corin
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er ihn auf ein weiteres Getränk ein. Als sie ihr drittes Spiel begannen, waren sie gerade beim vierten Bier angelangt.
    „Machst du dir jemals Gedanken über Verantwortung?“, fragte Rafe, während er vor dem Tisch kniete, um den Winkel eines bestimmten Bandenschusses abzuwägen.
    „Nicht solange ich es verhindern kann!“
    Rafe nickte lächelnd. „Ich meine es ernst. Ich meine nicht die Pflichten gegenüber deiner Arbeit oder deinen Studenten – ich meine einfach deine Verantwortung als erwachsener Mann in unserer Gesellschaft, weißt du.“
    „Nun, du unterstellst damit, dass die Gesellschaft selbst eine Form von Verantwortungsgefühl hat. Aber das stimmt nicht. Die Gesellschaft stellt Ansprüche, aber jegliches Pflichtgefühl ist mit dem Aufkommen der Hippies den Bach runtergegangen. Gott sei Dank. Was ist dein Problem, Kumpel?“
    Rafe zuckte mit den Schultern. Er wollte die Stimmung nicht verderben, indem er zu ernst wurde. Stattdessen zielte er und schoss die Kugel gegen die Bande, von der sie genau im richtigen Winkel abprallte und direkt auf die 3er-Kugel zuhielt … und traf … und das Newton’sche Gesetz sie ins Eckloch schickte.
    „Nicht schlecht“, lobte Hal.
    Rafe ging um den Tisch herum, um über seinen nächsten Stoß nachzudenken.
    „Mit dem Pflichtgefühl ist es so eine Sache“, fuhr Hal fort. „Wir vertrauen darauf, dass andere Leute – unsere Eltern, unsere Staatsdiener, unsere Politiker – das Richtige tun, damit wir es nicht tun müssen. Und wenn das nicht funktioniert, drehen wir fast durch und zeigen mit den Fingern auf sie. Ich bin ein Säufer und ein Freigeist und auch ein ziemlicher Idiot, aber zumindest weiß man bei mir, mit wem man es zu tun hat. Die Welt braucht Menschen wie mich, damit es Menschen wie dich geben kann.“
    Rafe hob eine Augenbraue. „Menschen wie mich?“
    „Die aufrechten Bürger. Am liebsten würde ich mich wegen euch zwar im Strahl übergeben, aber ich mag dich trotzdem. Es sei denn, du versenkst die nächste Kugel. Dann werde ich dir deinen Queue so weit in den Hintern schieben, bis …“
    Rafe zielte und gewann das Spiel. „Noch eins?“
    Hal zog den Zettel aus der Hosentasche und winkte damit. Sie umarmten sich zum Abschied, Rafe bezahlte seine Rechnung, noch immer nicht ganz sicher, ob der Barkeeper nun ein ehemaliger Student war oder ihm nur ähnlich sah. Ab einem gewissen Alter – und Rafe musste zu seinem Leidwesen feststellen, dass dieses Alter mit 38 begonnen hatte – gab es drei Kategorien von Namen und Gesichtern: erstens Familie (wusste er immer), zweitens Freunde (wusste er manchmal) und drittens alle anderen (wusste er fast nie). Irgendwann, wenn er lang genug lebte, würde er jeden vergessen, sogar Sophie und Esme.
    Bei dem Gedanken zog sich sein Herz zusammen. Vielleicht lag es am Bier. Vielleicht waren es die Nachwirkungen ihres Streits. Aber auf einmal wollte er unbedingt ihre Stimme hören. Er tastete sich selbst nach dem Handy ab, doch dann fiel ihm wieder ein, dass er es im Büro vergessen hatte. Hastig lief er zu seinem Auto, stieg ein und fuhr nach Hause. Als er in der Garage parkte, war es fast 22 Uhr.
    Esmes Auto war nicht da.
    Nein, natürlich nicht. Sie war mal wieder irgendwo, um die Welt zu retten. Er war hier.
    Hatte sie etwa recht? Natürlich erfüllte das, was sie gerade tat, einen guten Zweck. Das war ihm klar. Und nur weil er die Menschen in Familie, Freunde und alle anderen einteilte, bedeutete das noch lange nicht, dass alle anderen unwichtig waren. Sie alle hatten eine Bürgerpflicht. Wie konnte Rafe seiner Frau Vorwürfe machen? Es gab einen Zeitpunkt, wo das Allgemeinwohl über dem der eigenen Familie stand. Soldaten zogen in den Krieg. Hatten die vielleicht fahrlässig entschieden? Egoistisch? Nein.
    Als er die Fahrertür öffnete, kullerte sein Handy auf den Zementboden. Also war es die ganze Zeit in seinem Wagen gewesen. Es musste ihm aus der Tasche gerutscht sein, was nicht zum ersten und sicher nicht zum letzten Mal passiert war. Er schüttelte den Kopf über seine eigene Dummheit, hob das Handy auf und schob es wieder in seine Tasche. Er hatte etwas weiche Knie, aber sein Kopf war klar. Nachdem er seiner Tochter einen Gutenachtkuss gegeben hätte, würde er seine Frau anrufen, um sich zu entschuldigen.
    Sein Vater saß im Wohnzimmer auf dem Sofa und schlief vor einer Sendung im Discovery Channel über Haiangriffe. Die Überschwänglichkeit des Sprechers vermischte sich mit dem lauten Schnarchen seines
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