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Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Titel: Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!
Autoren: Joshua Corin
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unabsichtlich schloss sie die Hand um den Vorhang.
    Galileo runzelte die Stirn.
    Esme riss den Vorhang herunter. Der schwere Stoff sprang von der Gardinenstange und fiel zu Boden. Galileo richtete verwirrt die Waffe auf sie, und in diesem Moment erblickte er den FBI-Heckenschützen, der auf dem Dach gegenüber postiert war und Galileos Brust durchlöcherte. Sein gelbes Polohemd färbte sich rot, er fiel auf die Knie und dann ganz zu Boden.
    Die Agenten vor dem Haus stürzten aus ihrem Versteck. Esme stürzte zu ihrer Familie auf dem Sofa und umarmte alle, sogar Lester. Sophie weinte wieder.
    „Es ist vorbei“, flüsterte ihre Mutter. „Es ist vorbei.“

30. KAPITEL
    Suppentopfgroße Tropfen fielen auf das Gras. Esme störte es nicht. Eine Beerdigung ohne Regen war wie eine Hochzeit ohne Sonnenschein. Sie alle standen unter einer hastig aufgebauten Plane um ein frisches, matschiges Grab herum. Der Regen prasselte im Gene-Krupa-Rhythmus auf die Plane. Schwarze Sonnenbrillen verbargen feuchte Augen, wobei ab und zu eine Träne unter dem Brillenrand hervorglitt und sich auf einer Wange oder Lippe blicken ließ.
    Ein guter Mensch lag in diesem Kiefernsarg.
    Seine Leiche war hier, das zumindest wusste Esme sicher. Was die Seele betraf – solche Fragen überließ man besser den Gelehrten und Dichtern, nicht wahr? Das waren Rätsel, an die nicht einmal sie sich heranwagte.
    Zur selben Zeit hatten sich Tausende in einer Kirche in Ohio versammelt, um von Bob Kellerman Abschied zu nehmen. Die Beerdigung selbst sollte im engsten Kreis stattfinden, doch der Gedenkgottesdienst war öffentlich. Die Tatsache, dass des bekanntesten Atheisten des Landes ausgerechnet in einer Kirche gedacht wurde, ließ Esme innerlich grinsen. Vermutlich hätte es dem Gouverneur nichts ausgemacht, aber Galileo wäre mit Sicherheit ausgerastet.
    Während bei dieser kleineren Beerdigung hier in Virginia …
    „Er liebte es, zu essen“, fuhr der alte Pastor fort, und die Trauergäste nickten zustimmend. Esme musste leicht lächeln. Tom, der neben ihr saß, lächelte ebenfalls. Eine pferdegesichtige Krankenschwester, die Imelda hieß und keinen Funken Freundlichkeit besaß, begleitete sie auf Schritt und Tritt. Das Krankenhaus hatte Tom die Teilnahme an der Beerdigung nur unter der Voraussetzung gestattet, dass er die ganze Zeit von einer medizinischen Fachkraft betreut wurde. Auf dem Hubschrauberflug nach Virginia hatte Tom seinen ganzen Charme eingesetzt, was jedoch nur dazu führte, dass Imelda immer wieder kopfschüttelnd seinen Puls maß. Er hatte einen nigelnagelneuen Herzschrittmacher in seiner Brust, und die ersten achtundvierzig Stunden nach einer solchen Operation waren entscheidend.
    Es war offensichtlich, dass der alte Pastor Norm sehr gut gekannt hatte. Er sprach von einem waghalsigen Jugendlichen, der an Halloween das Haus des Bürgermeisters mit Eiern beworfen hatte. Aus rebellischen Jugendlichen wurden später nicht selten die fähigsten Polizisten. Nach der Trauerrede sollte niemand mehr auf das Podium steigen, Norm hätte eine schlichte Feier gewollt, und die bekam er. Zwei Friedhofsmitarbeiter drehten die Kurbel einer gut geölten Seilwinde, und Norms Sarg sank langsam in die Erde.
    Tom zog einen Notizblock aus seiner schwarzen Lederjacke, dann kritzelte er mit zittriger Hand eine Botschaft darauf. Mit einer Handbewegung bat er, ihn nach vorn zu rollen, damit er das Blatt ins Grab seines verlorenen Kumpels fallen lassen konnte.
    Esme legte ihm eine Hand auf die Schulter, er legte seine darüber und sah zu ihr hoch. Dieser Augenblick kam ihnen wie ein ganzes Leben vor. Kurz darauf löste sich die Trauergemeinde auf.
    Tom schrieb eine weite Notiz und reichte sie ihr.
    „Komm mit mir zu meinem Auto.“
    Esme folgte ihm zu dem schwarzen Sedan, den die Stadt geschickt hatte, um ihn vom Hubschrauberlandeplatz zum Friedhof zu bringen. Imelda half ihm auf den Rücksitz. Es schmerzte Esme, ihren Mentor so schwach zu sehen, sie tröstete sich aber mit dem Wissen, dass es ihm bald besser gehen würde. In einer Woche würde er wieder sprechen können. In einem Monat würde er den Rollstuhl nicht mehr brauchen. Sie war wiederhergestellt, und er würde es auch bald wieder sein – wenn auch nicht vollständig. Ihre Niere, sein Herz – das war nur ein winziger Teil dessen, was Galileo hinterlassen hatte.
    Immerhin lebten sie noch.
    Kaum hatte Tom die Tür zugezogen, da griff er nach dem Autotelefon und wählte eine Nummer. Bevor Esme fragen
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