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Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht
Autoren: Tanith Lee
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silberne Schlangen in ihrem Haar, die so kunstfertig geschmiedet sind, daß sie lebendig zu sein scheinen.«
    »Aber seht«, sagte Fair, »ihre Hände haben geblutet.«
    »Was kann sie von uns wollen?« sagte Fan.
    Als die Frau näherkam, seufzten die Ochsen und blieben stehen und schlossen ihre großen Augen. Sie ging dreimal um den Karren und betrachtete abwechselnd jede der Schwestern, und dann ging sie die Straße hinauf und verschwand im dunklen Wald.
    »Sie muß ein Geist gewesen sein«, sagte Foam.
    »Oder eine verrückte Prinzessin«, sagte Flame.
    Fountain und Favour rümpften hochmütig die Nase.
    Jaseve, die, wie es den Dämonen immer geschah, vom Geruch dieser kleinen Bosheit der Mädchen angelockt worden war, kehrte in der Zwischenzeit zu dem Baum mit den grauen Blüten zurück und umarmte ihn. Dann begann sie auf dem flachen, bemoosten Boden zwischen den dichtverwobenen Bäumen zu tanzen.
    Es war ein wilder Tanz, ein Tanz, um die Nacht und die Luft zu erwecken, um Geschöpfe und Wesen zu rufen. Zuerst kam ein schwarzer Hase und setzte sich, um mit bleichen, runden Augen auf sie zu starren, dann zwei Füchse, die den Hasen nicht einmal zu bemerken schienen, und danach zwei Hirsche mit dolchartigen Geweihen und Eulen auf Flügeln wie Banner und ein Löwe, der vor Alter so blaß war wie Rauch. Selbst Wassertiere schlichen herbei, die von dem stummen, unwiderstehlichen Tanz der Eschva-Frau aus den tiefen Tümpeln und Sümpfen des Waldes gelockt wurden. Schließlich kam sogar der Wind aus dem Osten zu dem Wald, von ihrem Zauber herbeigerufen.
    Als Jaseve hörte, wie er die Blätter an dem Baum schüttelte, löste sie ihre Schärpe, und der Wind wirbelte hinein und schwellte sie wie ein Segel. Und Jaseve knotete die Schärpe geschwind zusammen, so daß der Wind nicht heraus konnte, denn die Dämonen hatten die Macht, so etwas zu tun. Dann hörte sie auf zu tanzen. Die Tiere rannten davon. Der Wind kämpfte und beklagte sich in der Schärpe, als Jaseve sie zwischen den Zweigen des graublühenden Baumes festband.
    *
    Die sieben Töchter des Bauern nähten sich Kleider aus Seide, aber sie wagten nicht, sie bei Tage zu tragen, weil sie fürchteten, entdeckt zu werden. Dann kamen sie irgendwie auf den Gedanken, sie in der Nacht anzuziehen und zum Rand des alten Waldes zu schleichen. Dort sprangen und tanzten sie auf und ab und gaben vor, Prinzessinnen zu sein, und sie sprachen übers Wetter, da sie gehört hatten, daß Prinzessinnen das fast ausschließlich täten, weil alles andere ihrer Herrschaft unterstand und sie daher langweilte.
    »Wie merkwürdig«, sagte Fleet, »daß heute nacht kein Ostwind weht.«
    »Es hat seit Tagen keinen mehr gegeben«, sagte Flame.
    »Die Schiffe auf dem Meer liegen in der Flaute«, sagte Foam.
    »Und die Windmühlen müssen von Menschenhand gedreht werden«, sagte Fan.
    »Was die Bussarde und die anderen Segler angeht«, sagte Fountain, »so sitzen sie auf den Zäunen und klagen, weil sie nicht auf den Luftströmen dahinsegeln können.«
    »Und die Vogelscheuche bewegt sich nicht und scheucht die Tauben nicht weg«, sagte Favour.
    Doch Fair fügte hinzu: »Aber dafür wird auch in der Abenddämmerung der Geruch des Misthaufens nicht mehr in den Weingarten geweht.«
    Da sahen die sieben Schwestern plötzlich eine Gestalt vor sich zwischen den Bäumen stehen. Es war niemand anderes als die schöne Frau, die sie in der Nacht des Raubs getroffen hatten.
    »Was mag sie wollen?« fragten sich die Schwestern gegenseitig. »Jetzt winkt sie uns zu, damit wir mit ihr gehen. Aber wir sollten ihr nicht folgen«, sagten sie und bemerkten, daß sie bereits dabei waren, es zu tun. Der Wald war schwarz und geheimnisvoll, doch sie hatten keine Angst. Die Frau führte sie immer tiefer in das Dunkel, und irgendwie wünschten sie, nicht zurückzukehren. Schließlich kamen sie an einen Baum, der von den anderen Bäumen gänzlich verschieden war, ein Baum mit Blüten, aber sie waren grau, und in seinen Zweigen befand sich eine Schärpe, die von selbst umherwehte.
    Während sie den Baum ansahen, tanzte Jaseve ein zweites Mal. Aber diesmal näherte sich niemand, denn der Tanz war für den Baum und für den in den Zweigen gefangenen Wind und für die sieben jungfräulichen Schwestern. Und plötzlich begannen die Schwestern ebenfalls zu tanzen, ohne Furcht und ohne sich zu wundern, als ob es nur natürlich wäre, daß sie in Seide gekleidet, Hand in Hand, und angeführt von einer Frau mit Schlangen im
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