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Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht
Autoren: Tanith Lee
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schrie nicht, der Prinz der Dämonen, trotz der Todespein, die ihn verbrannte, obwohl sie viele Jahrhunderte zu währen schien und jeden Augenblick schwerer zu ertragen war, und trotz des süßen, nadelartigen, singenden Schmerzes, der brüllenden Ochsen des Schmerzes, die ihn zertrampelten. Und dann zuletzt kam ein goldener Schmerz, der schlimmer war als all die anderen, und bei diesem muß er dann doch geschrien haben, selbst er, Asrharn, der Prinz der Dämonen, der Herr der Nacht, aber in dieser Sekunde war er in Rauch verwandelt und in Staub und in Schweigen.
    Diese, Asrharns Asche, wurde Haß ins Gesicht geblasen.
    Haß konnte es nicht ertragen. Haß nährte sich von Haß, und nun nährte er sich notgedrungen von Liebe, und Liebe erstickte ihn. Selbst die Liebe Asrharns, dem übelsten von allen, die schlecht waren, die Liebe des Dämonen zur Erde, um die sich kein Gott mehr kümmerte, da die Götter über solchen Dingen standen. Es erfolgte eine Explosion mit vielen Blitzen und Donnern, als die Liebe des Dämonen zur Erde den Haß der Erde zerstörte, so wie die Sonne Asrharn zerstört hatte.
    *
    Haß war tot, und der Dämon war tot. Nichts anderes konnte folgen als ein Zeitalter absoluter Unschuld.
    Das Gesicht der Erde hatte sich sehr verändert, Meere befanden sich nun dort, wo Kontinente gewesen waren, Berge waren eingestürzt oder entstanden, Wälder waren vernichtet, und neuer Wald wuchs aus üppig verstreuten Samen. Die Menschenrasse hatte dank Asrharns Eingreifen überlebt. Nun blickte sie verwirrt umher. Ohne einen herrschenden Haß war der kleine Haß, der in den Menschen zurückgeblieben war, noch geschrumpft, und es würde mehrere Zeitalter dauern, bevor er wieder zu seiner alten, ehrlichen, schmutzigen und natürlichen Größe herangewachsen sein würde. An diesem Tage waren alle Menschen Brüder. Sie fielen einander um den Hals und schluchzten, und führten einander aus den verfallenen Ruinen in den neuen, lichten Tag. Und sie bauten Altäre und segneten die fernen Götter, die niemals Notiz davon nahmen, und nach drei Jahrhunderten, oder weniger, war der Name Asrharns vergessen, wie sie die Nacht bei der Ankunft des Tages vergaßen.
    Es war eine einzigartige Zeit auf der Welt damals, daran besteht kein Zweifel. Könige, die gerecht waren, gab es da, wenige Diebe und noch weniger Mörder. Die Narben heilten, und der Boden der Länder war mit Blumen und Korn übersät, und große Bäume bedeckten die Schultern der Hügel, und die Feuer der Berge schliefen in ihren hohen, blauen Türmen. Es wird berichtet, daß Tiger wie Hunde einem jungen Mädchen folgten und ihr nichts zuleide taten, und Einhörner mit ihren goldenen Hörnern am hellichten Tage Scheingefechte austrugen, und daß jede vierzigste Frucht des Orangenbaumes einen freien Wunsch enthielt, und die Katzen singen lernten und es allerliebst taten.
    Das war die Erde. Aber unter der Erde gab es keinen Gesang. Drei Jahrhunderte waren vergangen, aber wenig hatte sich in ihnen ereignet. Wenn die Erde auch vergaß, die Unterwelt hatte Grund, sich zu erinnern.
    Druhim Vanaschta trauerte. Die Drin weinten und schluchzten an ihren kalten eisenverkrusteten Schmelzöfen und zwischen ihren vernachlässigten, rostenden Metallhaufen, und ihre Tränen hoben den Wasserspiegel des schwarzen Sees, an dem ihre Essen standen. Die Eschva weinten, und die Schlangen, die sich in ihren langen Haarflechten ringelten, weinten ebenfalls, Tränen aus glänzendem Serpentin. Aber es waren die Vazdru, welche die Menschen für ihre Vergeßlichkeit beschimpften und verfluchten. Die Vazdru weinten nicht leicht, doch das Wasser rann ihnen aus den Augen. Sie legten Trauergewänder an – in Gelb, wegen der Sonne, die ihren geliebten Herrn erstochen hatte – und sie rauften sich die Haare und entblößten ihre Brüste, beide Geschlechter, und geißelten sich mit Peitschen aus Jade.
    »Die Welt entehrt Asrharn«, riefen die Vazdru-Prinzessinnen.
    »Laßt uns auf die Erde gehen«, schrien die Prinzen der Vazdru, »und den Verfluchten die Schamröte ins Gesicht treiben!«
    Dann, in der Nacht, besuchten die Vazdru die unschuldige, neue Erde. Sie kamen wie Geister entlang der Meeresstrände und durch das hohe Korn, sie überquerten die Landstraßen der Menschen, und in den Städten glitzerten die Lichter über ihre ockerfarbenen Gewänder und ihre schönen, zerrütteten Gesichter. Und sie schlugen Saiteninstrumente und rasselten mit Sistren, als sie vorbeizogen, und riefen laut:
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