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Herr der Moore

Herr der Moore

Titel: Herr der Moore
Autoren: Kealan Patrick Burke
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ist Grady?« Die Frage hätte sie nicht losgelassen, also musste Kate sie stellen, auch wenn sie die Antwort nicht erfahren wollte.
    »Er ist tot«, erwiderte Stephen. »Hat sich selbst gerichtet.«
    Sie dachte an den einzelnen Schuss und war zum Lächeln hingerissen, während sich gleichzeitig Kummer in ihr breitmachte. Obzwar sie insgeheim wusste, dass er auf immer verloren war, hatte sie genauso geahnt, er werde bis zum Ende kämpfen, und das hatte er getan – Widerstand geleistet, um sich nicht vereinnahmen zu lassen. Als Erinnerungen drohten, sie mitzureißen, ließ sie dem Zorn freie Bahn um den Strom aus eisigem Bedauern zu verdampfen.
    »Worauf wartest du noch? Lass sie auf mich los, du Feigling.« Ihre Tränen rannen heiß und still. »Tu es!«
    Als hätten sie auf diesen Befehl gewartet, gleich wer ihn erteilte, setzten sich die Kreaturen in Bewegung. Geifer troff aus ihren breiten Mäulern, und Kate schloss wieder die Augen, weil sie nichts wissen wollte von der Weißglut, die ihren Schatten nach hinten warf. Sie hob zu einem Gebet an, nicht für ihr eigenes Heil, sondern für Grady, Neil, ihren Vater und die brave Mrs. Fletcher.
    Das Gemurmel der Leute hinter ihr wurde lauter, interessierte sie jedoch nicht mehr. Ein Hieb, und sie war dahin, eine Fluse im Gewölle der Nacht, noch ehe ihre vermeintlichen Retter die blutigen Überreste fanden.
    »Stopp.«
    Kate öffnete die Augen.
    Callow hatte gesprochen. »Lasst sie.«
    Die Wesen wechselten Blicke, und gerade als Kate meinte, sie trotzten ihrem Meister, zogen sie sich zurück an Callows Seite. Der orange Schein, den die Suchenden abgaben, blendete ihn. »Dein Freund hat mir etwas erzählt. Ich halte es zwar für eine Lüge, die er sich ausdachte, um dich zu retten«, sagte er und seufzte, »will aber sichergehen, dass es nicht doch stimmt, also darfst du heute Nacht heimkehren.« Er trat näher. Die dunklen Schrunden in seinem Fleisch spannten sich zu einem bitteren Lächeln. »Wir werden dich jedoch genau beobachten, wie du dich mauserst, und falls der Alte log, bist du reif. Hast du das verstanden?«
    Millionen Sätze wollte sie aussprechen, ausschließlich entweder beleidigender oder provozierender Art – Steine, die sie in sein Gesicht werfen wollte, für das, was er getan hatte. Nun schenkte er ihr das Leben, und obwohl es ihr im Angesicht des schweren Verlustes nicht eben gnädig vorkam, verbeugte sie sich und nickte einmal.
    Als sich Callow abwandte und gehen wollte, hängten sich die Geschöpfe an seine Fersen. Eine letzte Frage drängte sich ihr auf, und sie rief sie ihm hinterher: »Was hat Grady Ihnen erzählt? Was hat es mit diesem Missverständnis auf sich?«
    Zuerst schien er nicht darauf einzugehen, ihre Neugier nicht befriedigen zu wollen. Das Wissen im Verbund mit all dem Gram sollte ihr weiteres Leben nicht zur Hölle machen, wie lange es noch dauern mochte … oder doch? Er hielt inne und schaute über die Schulter zurück.
    »Er meinte, Sylvia habe keinen Jungen zur Welt gebracht.«
    Dann war er fort – vielleicht aus Angst, weil er wieder die Flammen sah, die ihn weiland entstellt hatten. Kurz darauf stand Kate weinend im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit vieler Stimmen und Hände. Mrs. Fletcher schluchzte und umarmte sie so fest, dass ihr die Luft wegblieb, bevor sie Fragen stellte, auf die das Kind keine Antworten wusste.

    ***

    Man hüllte sie in Decken, flößte ihr etwas Heißes ein, das sie nicht schmeckte, und führte sie von dannen. Kate wappnete sich gegen die Agonie, die hinter ihnen lauerte, um sie zu überwältigen. Während die Dorfleute sie im heimeligen Schein ihrer Fackeln zu Gradys Leichnam begleiteten, beschwerte etwas Kaltes ihre Magengrube und ließ Ranken in ihr Hirn steigen, auf dass sie es endlich anerkannte.
    Mrs. Fletcher fiel vor Grady auf die Knie und wimmerte.
    Kate entdeckte Tabitha Newman, die auf die Gruppe zueilte und die Tagelöhnerin suchte. Jemand zeigte auf das getrocknete Blut an ihrem Oberteil, doch sie wies ihn ab.
    Die Menschen stellten sich rings um den Toten auf und hielten ihre Waffen bereit, was nicht notwendig war: Der Herr der Sümpfe und seine Schergen gingen nicht mehr um.
    Kate war sich dessen bewusst, genauso wie der Tatsache, dass Grady Callow die Wahrheit gesagt hatte.
    Ihr Bauchgrimmen bewies es, denn es hatte nichts mit schlichtem Kummer oder Reue zu tun. Nein, es war kein schnödes Wehen, sondern vielmehr die ersten Regungen einer fürchterlichen Macht.

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