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Herr der Diebe

Herr der Diebe

Titel: Herr der Diebe
Autoren: Funke Cornelia
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schmal, mit braunem Haar, das sie zu einem Zopf geflochten trug, der ihr dünn wie ein Stachel bis zur Taille hing. Dem Zopf verdankte sie ihren Namen: Wespe. Einen anderen wollte sie nicht. Mit gerunzelter Stirn musterte sie einen zerknitterten Zettel, während die Leute vorbeidrängten und ihr Taschen und voll gestopfte Einkaufstüten in den Rücken stießen. »Ich glaube, wir haben alles«, sagte sie mit ihrer leisen rauen Stimme, die Prosper sofort gemocht hatte, selbst als er noch kein Wort von der fremden Sprache verstanden hatte, die ihr so schnell und leicht über die Lippen kam. »Nur die Batterien für Mosca fehlen noch. Wo könnten wir die kriegen?«
Prosper strich sich das dunkle Haar aus der Stirn. »Dahinten in der Seitengasse hab ich ein Elektrogeschäft gesehen«, sagte er und schlug seinem kleinen Bruder den Jackenkragen hoch, als er sah, wie Bo frierend den Kopf zwischen die Schultern zog. Dann schoben sie sich wieder zwischen die Menschen, die vorbeidrängten. Es war Markt am Rialto und in den engen Gassen herrschte noch mehr Betrieb als an anderen Tagen. Alte und Junge, Männer, Frauen und Kinder schoben sich zwischen den Ständen hindurch, zwängten sich aneinander vorbei, bepackt mit Taschen und Tüten. Alte Frauen, die die Stadt noch nie verlassen hatten, und Reisende, die nur für einen Tag kamen, um sie zu bestaunen. Es roch nach Fisch, nach Herbstblumen und getrockneten Pilzen. »Wespe?« Bo griff nach ihrer Hand und schenkte ihr sein wunderbarstes Lächeln. »Kaufst du mir einen von den kleinen Kuchen da?«
Wespe kniff ihm zärtlich in die Backe, aber sie schüttelte den Kopf. »Nein!«, sagte sie entschieden und schob ihn weiter. Das Elektrogeschäft, das Prosper entdeckt hatte, war winzig. Im Fenster stand zwischen Kaffeemaschinen und Toastern auch etwas Spielzeug, vor dem Bo fasziniert stehen blieb. »Ich hab aber Hunger!«, murrte er und presste die Hände gegen das Glas. »Du hast immer Hunger«, stellte Prosper fest, öffnete die Tür und blieb mit Bo neben dem Eingang stehen, während Wespe an den Ladentisch trat. »Scusi«, sagte sie zu der alten Frau, die ihr den Rücken zuwandte und Radios abstaubte. »Ich brauche Batterien. Zwei Stück, für ein kleines Radio.«
Die Frau packte sie ihr in eine Tüte und schob Wespe eine Hand voll Bonbons über die Theke. »Was für ein süßer kleiner Junge«, sagte sie und zwinkerte Bo zu. »Blond wie ein Engel. Ist das dein Bruder?«
»Nein«, Wespe schüttelte den Kopf, »das sind meine Vettern. Sie sind nur zu Besuch hier.«
Prosper schob Bo hinter seinen Rücken, aber Bo schlüpfte unter seinem Arm durch und holte sich die Bonbons vom Ladentisch. »Grazie!«, sagte er, lächelte der alten Frau zu und hüpfte zu Prosper zurück. »Un vero angelo!«, sagte die Verkäuferin, während sie Wespes Geld in die Kasse legte. »Aber seine Mutter sollte ihm mal die Hosen stopfen, und wärmer anziehen müsste sie ihn auch langsam. Der Winter kommt. Habt ihr heute nicht den Wind in den Schornsteinen gehört?« »Wir richten es aus«, sagte Wespe und zwängte die Batterien in ihre voll gestopfte Einkaufstüte. »Einen schönen Tag noch, Signora.«
»Angelo!« Prosper schüttelte spöttisch den Kopf, als sie sich draußen wieder durchs Gedränge schoben. »Warum fallen bloß alle auf deine blonden Haare und dein rundes Gesicht herein, Bo?« Doch sein kleiner Bruder streckte ihm nur die Zunge heraus, stopfte sich ein Bonbon in den Mund und hüpfte voraus. So schnell, dass die beiden Großen Mühe hatten, ihm zu folgen. Flink wie ein Fisch schlüpfte er zwischen all den Bäuchen und Beinen hindurch.
»Bo, nicht so schnell!«, rief Prosper ihm ärgerlich nach, aber Wespe lachte nur.
»Lass ihn doch!«, sagte sie. »Wir verlieren ihn schon nicht. Siehst du, da vorn ist er.«
Bo schnitt ihnen eine Grimasse und versuchte auf einem Bein um eine heruntergerollte Orange herumzuhüpfen, aber dabei stolperte er und landete in einer Gruppe japanischer Touristen. Erschrocken rappelte er sich wieder auf – und lächelte breit, als zwei Frauen die Fotoapparate zückten. Bevor sie auf den Auslöser drücken konnten, hatte Prosper seinen kleinen Bruder schon unsanft am Kragen gepackt und weitergezerrt.
»Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du dich nicht fotografieren lassen sollst?«, zischte er ihm zu. »Ja, ja.« Bo riss sich von seiner Hand los und hüpfte über eine leere Zigarettenschachtel. »Das waren doch Chinesen. Tante Esther guckt sich doch wohl keine Fotos
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