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Herr der Diebe

Herr der Diebe

Titel: Herr der Diebe
Autoren: Funke Cornelia
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Seite in der fensterlosen Mauer war. Mit ungelenken Buchstaben hatte jemand vietato l’ingresso darauf gepinselt, Betreten verboten. Früher war dies einer der Notausgänge des Kinos gewesen, jetzt verbarg sich hinter der Tür ein Versteck, von dem nur sechs Kinder etwas wussten.
Prosper zog zweimal kräftig an der Schnur, die neben der Tür baumelte, wartete einen Moment und zog dann noch einmal. Das war ihr Zeichen, aber es dauerte eine ganze Weile, bis jemand öffnete. Bo trat schon ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, als sie endlich hörten, wie der Riegel zurückgeschoben wurde. Nur einen schmalen Spalt breit öffnete sich die Tür. »Parole?«, fragte eine misstrauische Stimme.
»Komm, Riccio, du weißt doch, dass wir uns die nie merken können!«, raunte Prosper ärgerlich. Und Wespe trat auf den Spalt zu und zischte hinein: »Siehst du die Tüten in meiner Hand, Igelchen? Die habe ich vom Rialtomarkt bis hierher geschleppt. Meine Arme sind bald lang wie Affenarme, also mach endlich auf!« »Ja, ja, schon gut. Aber wehe, Bo verpetzt mich wieder bei Scipio, wie letztes Mal!« Mit besorgtem Gesicht öffnete Riccio die Tür. Mager war er und einen ganzen Kopf kleiner als Prosper, obwohl er nicht viel jünger war. Zumindest behauptete Riccio das. Sein braunes Haar stand ihm so struppig vom Kopf ab, dass es ihm seinen Spitznamen eingebracht hatte: Riccio – der Igel. »Keiner von uns kann sich Scipios Parolen merken!«, schimpfte Wespe, während sie sich an ihm vorbeischob. »Das Klingelzeichen reicht doch.«
»Da ist Scipio anderer Meinung.« Sorgfältig schob Riccio wieder den Riegel vor.
»Dann soll er sich Parolen ausdenken, die man sich leichter merken kann. Weißt du etwa noch die vom letzten Mal?« Riccio kratzte sich den struppigen Kopf. »Warte mal – Katago dideldum est. Oder so.« Bo kicherte und Wespe verdrehte die Augen. »Wir haben schon mit dem Aufräumen angefangen«, erzählte Riccio, als er ihnen mit der Taschenlampe den dunklen Flur entlangleuchtete. »Aber sehr weit sind wir noch nicht gekommen. Mosca will immer nur an seinem Radio rumbasteln. Und bis vor einer Stunde haben wir vor dem Palazzo Pisani herumgestanden. Warum Scipio sich ausgerechnet den Palast für seinen nächsten Raubzug ausgesucht hat, ist mir ein Rätsel. Fast jeden Abend ist dort irgendetwas los, Feste, Empfänge, ich glaub, alle vornehmen Familien der Stadt geben sich da die Klinke in die Hand. Wie will Scipio da jemals unbeobachtet reinkommen?« Prosper zuckte nur die Achseln. Ihn und Bo hatte der Herr der Diebe bisher noch nicht zum Kundschaften geschickt, obwohl Bo Scipio ständig darum anbettelte. Meistens zogen Riccio und Mosca los, wenn es um das Beobachten der Paläste ging, denen Scipio einen nächtlichen Besuch abstatten wollte. Seine Augen nannte er die zwei, während Wespe dafür zuständig war, dass das Geld vom Verkauf seiner Beute nicht zu schnell ausgegeben wurde. Prosper und Bo, als neueste Schützlinge des Herrn der Diebe, hatten bisher höchstens mitkommen dürfen, wenn die Beute verkauft wurde oder Einkäufe erledigt werden mussten, so wie heute. Prosper war das nur recht. Aber Bo wäre zu gern mit Scipio in die vornehmen Häuser der Stadt geschlichen, um all die wunderbaren Dinge zu stehlen, die der Herr der Diebe von seinen Beutezügen mitbrachte.
»Scipio kommt überall rein«, verkündete Bo, während er neben Riccio herhüpfte. Zwei Sprünge auf dem linken Fuß, zwei Hüpfer auf dem rechten – Bo bewegte sich selten vorwärts, ohne zu hüpfen oder zu rennen. »Er hat was aus dem Dogenpalast gestohlen, und keiner hat ihn erwischt. Weil er eben der Herr der Diebe ist.«
»Ja, der Einbruch in den Dogenpalast. Wie könnten wir den vergessen!« Wespe warf Prosper einen spöttischen Blick zu. »Selbst ihr habt die Geschichte doch bestimmt schon hundertmal zu hören bekommen, oder?« Prosper grinste nur.
»Also, ich könnte sie mir tausendmal anhören«, meinte Riccio und schob einen dunklen, muffig riechenden Vorhang zurück. Der Kinosaal, der dahinter lag, war noch nicht sehr alt und trotzdem in schlechterem Zustand als so manches Haus der Stadt, das schon viele hundert Jahre stand. Dort, wo einmal große Kristallleuchten gehangen hatten, ragten nur noch verstaubte Kabel aus der Wand. Die Kinder hatten ein paar Baulampen aufgestellt, die den Saal notdürftig erleuchteten, aber selbst in ihrem spärlichen Licht konnte man sehen, dass von der Decke an vielen Stellen der Putz bröckelte. Die
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