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Herbstfraß

Herbstfraß

Titel: Herbstfraß
Autoren: Sandra Busch
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Uhr
    Das Wochenende war schrecklich. Ich hatte Angstzustände und bekam deswegen Medikamente verabreicht, die mich den überwiegenden Teil der beiden Tage in einen unangenehmen Dämmerzustand versetzten. Oliver kam uns zusammen mit Louisa und Oma Jansen besuchen. Sie brachten frische Kleidung, Lesestoff und Schokolade. Bo nahm alles entgegen und bedankte sich dafür. Ich war dazu nicht in der Lage, sondern achtete lediglich darauf, dass mein Mann nie aus meinem Blickfeld geriet. Ich wurde panisch, sobald ich ihn nicht mehr sehen konnte und ich werde es immer noch.
    Diese netten Besuche beschränkten sich auf eine halbe Stunde täglich. Mehr gestattete mein Arzt nicht. Derselbe Arzt, der der Polizei eine Vernehmung meiner Person verbot, der mir Ruhe und psychologische Gespräche verordnete und der dafür sorgte, dass Bo nicht nach Hause musste, sondern bei mir bleiben durfte. Was hätte er nach meinem Tobsuchtsanfall auch tun sollen?
    Einen weniger netten Besucher hatten wir am Samstagnachmittag. Ein Reporter war überraschend aufgetaucht und begann ungebeten Fotos von mir zu schießen, bis sich Bo den Mann vorknöpfte. Ich könnte wetten, dass das Ärzteteam weiterhin damit beschäftigt ist, die Kamera aus ihm herauszuoperieren.
    „Robin?“
    Ich schrecke zusammen, blinzle verwirrt und schaue direkt in Olivers fragendes Gesicht.
    „Ich sagte, dass ich ein Diktiergerät mitgebracht habe. Du weißt doch, wie man Aussagen für eine Aufzeichnung macht?“
    Ich nicke und fische nach einem Taschentuch. Mein Kopf schmerzt trotz der Medikamente und ich bin ständig am Rotzen. Die befürchtete Schniefnase hat mich endlich eingeholt.
    „Reicht dir meine Aussage nicht aus?“, fragt Bo. Er sitzt direkt neben mir auf dem Bett und hat einen Arm um meine Schulter gelegt. Schützend …
    „Leider nicht. Ich muss Robin ebenfalls vernehmen. Eigentlich hätte sein Bericht bereits am Samstag auf dem Tisch meines Vorgesetzten liegen sollen.“
    „Er hat ein Trauma, Oliver. Muss er das unbedingt ein zweites Mal durchleben?“
    „Der Arzt hat sein Okay dazu gegeben. Wir sollen allerdings aufhören, wenn er Anzeichen eines Panikanfalls zeigt.“
    „Ich kenne ihn. Robin wird es hinter sich bringen wollen. Er kann so stur sein …“
    „Könntet ihr bitte aufhören miteinander zu reden, als wäre ich nicht anwesend?“, frage ich dazwischen. So, wie mich die beiden anblicken, haben sie mich tatsächlich vergessen.
    „Entschuldige“, sagt Oliver und mustert mich abschätzend. Ich weiß genau, wie ich aussehe. Dass der Badspiegel am frühen Morgen nicht zersprungen ist, grenzt an ein Wunder.
    „Ich sehe beschissen aus.“ Was nichts ist im Vergleich dazu, wie ich mich fühle. Es werden Narben zurückbleiben, die mich für den Rest meines Lebens an diese entsetzlichen Stunden erinnern werden.
    „Warte, bis die Schwellungen und die blauen Flecke fort sind. Dann habe ich meinen süßen Dot wieder.“ Bo küsst mich hinters Ohr. Er ist müde. Ich ahne, dass er wegen mir nicht viel schläft. Außerdem wirkt er auf mich viel zu ruhig und beherrscht. Die Angst und der Schrecken können unmöglich spurlos an ihm vorbeigegangen sein. Warum zeigt er es nicht? Ich bin der Letzte, für den er den starken Mann markieren muss. Belastet es einen nicht furchtbar, wenn man einen Menschen erschossen hat? Nicht, dass es mir um den Nolte leidtäte. Oder ist Bo seit seiner Bundeswehrzeit wirklich derartig abgebrüht, dass ihm ein Menschenleben – schuldig oder nicht – nichts mehr ausmacht? Ich wage das zu bezweifeln. Sonst wäre Oma Jansens ’ Sniggle längst im Katzenhimmel …
    „Robin?“
    „Ja?“
    „Wollen wir anfangen?“ Oliver ist sehr geduldig. Das ist nett von ihm.
    „Kann ich vorher einen Tee haben?“
    „Sicher.“ Es ist Bo, der mit seinen verbundenen Händen etwas ungeschickt nach meiner Tasse greift und sie mir reicht. Kamillentee. Ich bekomme hier ausschließlich Kamillentee. Das Zeug ist furchtbar und ich vermisse die leckeren, frisch aufgebrühten Kompositionen, die mir Louisa morgens immer serviert. Beim Schlucken schmerzt mein Hals. Die Grippe hat mich voll erwischt und mit ihrem kompletten Programm bedacht.
    „Robin Berger, Privaterm…“
    „Warte, warte.“ Oliver lacht. Er klingt etwas nervös, schließlich wird er sich eine hässliche Geschichte anhören müssen. „Ich muss erst das Gerät einschalten. Fertig. Leg los.“
    Brav gebe ich meine Personalien an. Dann verstumme ich erneut. Oliver schaltet das
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