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Herbstfraß

Herbstfraß

Titel: Herbstfraß
Autoren: Sandra Busch
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Diktiergerät aus.
    „Was ist?“
    „Wo soll ich anfangen?“
    „Erzähl Oliver, was geschehen ist, nachdem ich dich allein gelassen habe“, fordert Bo mich auf.
    „Der Nolte war plötzlich da.“ Meine Stimme zittert. Vor Oliver ist mir das peinlich. Ich will nicht für schwach gehalten werden.
    „Niemand hält dich für schwach, Dot.“ Bo drückt mich sanft.
    „Herrje, habe ich das eben laut gesagt?“
    „Hast du.“
    „Nach allem, was der Nolte dir angetan hat, hältst du dich ziemlich wacker, Robin. Ich würde mich wahrscheinlich unter dem Bett verstecken.“ Oliver schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln.
    „Nein“, sage ich leise. „Da ist es dunkel.“
    „Schluss“, erklärt Bo unvermittelt. „Es ist zu früh für eine Aussage. Oliver, du siehst ja …“
    „Er war plötzlich da. Ich … ich habe noch das Laub unter seinen Füßen rascheln hören und …“
    Hastig schaltet Oliver das Diktiergerät ein. Er unterbricht mich nicht ein einziges Mal, obwohl ich bestimmt zwei Stunden lang rede. Zu meinem größten Erstaunen tut es mir gut. Ich habe das Gefühl mich Bo und Oliver gegenüber völlig zu öffnen, obwohl ich lediglich beschreibe, was Nolte uns – mir – angetan hat. Kein Wort über meine Empfindungen, Gedanken oder Ängste. Ausschließlich Fakten. Bo weiß, was ich durchgemacht habe und Oliver hatte bislang genügend Einsätze, um zu wissen, wie ein Opfer anschließend tickt. Im Gegensatz zu diesem Gehirnklempner, der mir mit seinem mitleidigen Gesäusel tierisch auf den Senkel geht. Ein paar Tage Bo an meiner Seite und ein Nachtlicht, das die Schatten vertreibt. Mehr brauche ich gar nicht, bis mein Verstand begriffen hat, dass mir keine Gefahr mehr droht und ich wieder den coolen Detektiv heraushängen lassen kann. Aber es scheint für die Hochstudierten zu schwierig zu sein, Bo auf einem Rezeptblock zu vermerken. Ich beschließe in dieser Sekunde das sterile, karge … Bunker … Krankenhaus zu verlassen. Gleich morgen nach der Visite.
    Oliver Mahlberg, seines Zeichens attraktiver Fertigessen-Kommissar, schaltet das Diktiergerät aus und verstaut es in seiner Jackentasche.
    „Schickst du mir bitte eine Protokollabschrift für meine Unterlagen?“, frage ich. Denn dann kann ich mir die Schreiberei zu Hause ersparen. Auch wenn wir Frau Nolte-Aschendorff in Anbetracht der Umstände keine Rechnung schicken werden, möchte ich eine sauber abgeschlossene Akte haben. Na, bitte. Ich befinde mich bereits auf dem Weg der Besserung, wenn ich schon an die Arbeit denken kann.
    „Das lässt sich machen.“ Oliver zögert.
    „Ja?“
    „Es ist unglaublich, dass ihr überlebt habt“, sagt er. „Ich hoffe, dass ihr zukünftig vorsichtiger sein werdet. Louisa hängt nämlich an ihren beiden Arbeitgebern.“
     
     
    16:46 Uhr
    Oliver ist gegangen, nicht ohne uns noch einmal gehörig den Kopf gewaschen zu haben. Vielleicht hätten wir tatsächlich die Polizei informieren sollen, sobald wir wussten, wo wir nach Ingo suchen mussten.
    Ich krabble aus dem Bett, was mir mit meinem schmerzenden Schenkel und dem Arm in der Schlinge nicht leicht fällt.
    „Wo willst du hin?“, erkundigt sich Bo und hastet hinter mir her.
    „Zu Schwester Ulli. Meine Entlassung vorbereiten.“
    „Entlassung? Habe ich etwas nicht mitbekommen?“
    „Ich muss hier raus, Tweety. Ich brauche Ablenkung. Meine Gedanken müssen beschäftigt und nicht mit Hilfe von Drogen in Watte gepackt werden.“
    In der nächsten Sekunde bin ich auf dem Flur und hinke in Richtung Schwesternzimmer.
    „Dot!“ Bo hält mich am unversehrten Arm fest. „Vergisst du gerade, dass du Panikattacken erleidest?“
    „Heißt das, dass du nicht da sein wirst, um mir über einen solchen Anfall hinwegzuhelfen?“
    „Natürlich werde ich bei dir sein. Hier sind allerdings Ärzte und …“
    Ich höre ihm gar nicht zu, da ich eine Frau entdeckt habe, die definitiv nicht zum Krankenhauspersonal gehört. Statt eines weißen Kittels trägt diese Person ein schwarzes Kostüm, das ihr Gesicht ungeheuer bleich erscheinen lässt. Es ist Frau Nolte-Aschendorff, die überraschend vor uns steht. Heute ist sie ungeschminkt und hat ihre Haare lediglich mit einem schlichten Gummiband zu einem Zopf zusammengefasst. Ihre rot geweinten Augen wetteifern farblich mit ihrem Haar. Als ihr Blick auf mich fällt, schlägt sie erschrocken die Hand vor den Mund.
    „Gütiger Gott!“, flüstert sie gleich darauf und tritt einen Schritt auf mich zu. Sie streckt die Finger aus,
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