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Henningstadt

Henningstadt

Titel: Henningstadt
Autoren: Marcus Brühl
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los.
    Im Foyer des Krankenhauses schlägt ihr der typische Krankenhausgeruch entgegen. Sie hasst das. Tränen tre ten ihr in die Augen. Am liebsten würde sie gleich wieder fort. Ratlos starrt sie auf ein Informationsschild. Dann geht sie zum Pförtner und fragt nach Lars. Der Pförtner sieht nach:
    «Intensivstation. Tut mir Leid, nur Familienangehörige dürfen rein. Gehören sie zur Familie?»
    Isa schüttelt den Kopf und dreht sich um. Die Inten siv station ist in Gebäude zwei, entnimmt sie dem Hinweis schild. Sie muss ihn sehen!
    In Gebäude zwei gibt es eine Rezeption. Die Schwester fragt, ob sie zur Familie gehört.
    «Ich bin Lars ’ Schwester. Ich muss ihn sehen.»
    Die Schwester sieht sie misstrauisch an. Sie glaubt Isa nicht.
    «Ich war verreist, deshalb kann ich erst jetzt kommen. Mama hat nichts gesagt, weil sie mich nicht —»
    «Dann müssten Sie sich bitte ausweisen», fordert die weiße Frau sie auf.
    Isa erschrickt. Greift in ihre Tasche. «Ich hab jetzt lei der nichts dabei, ich bin sofort hierher gekommen. Kön nen Sie nicht —»
    «Nein. Kann ich nicht. Bitte gehen Sie jetzt. Wenn Sie die Schwester sind, können Sie ja kurz Ihre Papiere ho len.»
    Eine zweite Schwester ist zur Rezeption gekommen. Sie steht ein Stückchen hinter der ersten. Sie lächelt Isa an und gibt ihr mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass sie erst mal außer Sichtweite ihrer Kollegin gehen soll. Isa ver schwindet um die Ecke. Die Schwester kommt hin ter her. «Um wen geht ’ s denn?»
    «Lars Seiffert.»
    «Okay, komm mit. Was ich mache, ist verboten. Du bleibst auf jeden Fall seine Schwester, wenn jemand fragt.»
    Isa nickt.
    «Du bist seine Freundin?»
    Isa nickt.
    Die Schwester lässt sie in ein Viererzimmer eintreten. Lars liegt am Fenster. Isa geht langsam auf ihn zu. Plötz lich hat sie keine Kraft mehr. Ihr ist schwindelig, sie hat das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden.
    «Du darfst ihn auf keinen Fall wecken! Lass ihn schla fen, das tut ihm gut», sagt sie im Rausgehen. Die Tür klickt ins Schloss.
    Isa zieht einen Stuhl an Lars ’ Bett und setzt sich. Hinter dem Bett steht eine fette Maschine. Wahrscheinlich ist er damit beatmet worden, denkt sie. Schläuche stecken noch in seiner Nase, aber sie sind nicht mehr angeschlossen. Am Arm hat er eine Infusion. Er kriegt eine gelbliche Flüs sigkeit.
    Lars ist kreidebleich. Die Wunde am Kopf ist unter einem dicken Verband verborgen. Sein Gesicht ist hager ge worden. Er sieht sehr krank aus.
    Isa fühlt sich wie hinter einem Nebel. Ihr ist ganz elend zumute. Aber Lars atmet! Minutenlang lauscht sie den lei sen, aber regelmäßigen Atemzügen. Er wird wieder ge sund! Sie ist so erleichtert. Sie kann nicht mit ihm spre chen, aber sie weiß, er war wach, und jetzt schläft er nur. Er schläft sich gesund.
    Sie fühlt, wie eine Welle von Schluchzen in ihr auf steigt. Ein Schluchzen aus Erleichterung, Trauer und Wut. Sie steht auf. Sie will hier nicht heulen. Sie reißt ihre Au gen von Lars Gesicht los und geht schnell raus.
    Sie radelt los. Sie achtet nicht auf den Weg, sie will nur weg. Sie weiß, dass Henning bei seinem Freund ist. Eigent lich ist sie erst am Nachmittag mit Henning verab redet, auf der Demo. Henning geht mit Steffen von Stef fen aus da hin. Isa wollte Hennings Mutter abholen und mit ihr zusammen dorthin gehen. Jetzt muss sie doch erst noch zu Henning. Einfach mit jemandem sprechen.
     
     
     
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    Die er immer für die Stärkere gehalten hat, zerrt an seinem T-Shirt, als wollte sie sich darin einwickeln. Sie sieht ihm nicht in die Augen. Sie zittert. Henning führt die aufgelöste Isa ins Schlafzimmer und legt sie aufs Bett. Sie sind bei Steffen zu Hause. Steffen ist nicht da.
    Henning macht Isa einen Tee. Nachdem er eine Weile auf dem Bett gesessen hat, legt er sich zu ihr aufs Bett. Ihr Atem geht ruhig und tief, gelegentlich zittert er beim Ein atmen. Sie versucht, sich zu beruhigen. Mit geöffneten Au gen starrt sie an die Decke. Ihre Brust hebt und senkt sich mit ihrem Atem. Sie sieht aus, als hätte sie kein Gesicht, so leer ist der Ausdruck ihrer Augen, so weit entfernt. Henning betrachtet sie. Sie hat wirklich Pech. Was für eine Scheiße, dieser Unfall! Hennings Augen wer den feucht.
    «Ich war bei Lars. Die Mutter hat angerufen. Er ist auf gewacht. Dann bin ich hingefahren. Er sieht schlimm aus. Er sieht — vielleicht bleibt er für immer blöd», bricht es aus ihr heraus. Sie zieht die Stirn in Falten, atmet scharf, als wolle sie
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