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Henningstadt

Henningstadt

Titel: Henningstadt
Autoren: Marcus Brühl
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ist, dann gehen sie in sein Zimmer. Zwei Fußballplakate hän gen an der Wand und zwei Poster nach Bildern von Dal í .
    Dann scheitert Isabell s Vorsatz cool zu sein. Sie be schwert sich, er habe sie gar nicht richtig begrüßt, geht auf ihn zu, umarmt ihn, drückt ihn, riecht ihn, umfasst seine Oberarme und schiebt dabei das T-Shirt nach oben.
    Henning sieht die Wunde auf Eriks schöngeformtem Oberarm. Steht ihm sehr gut, sieht sehr markig aus. Erik lächelt Isa an. Es sieht ein bisschen gequält aus. Aber er lächelt. Irgendwie macht er einen sehr schüchternen Ein druck. Er setzt sich aufs Bett, während die beiden sich im Arm halten. Dann lösen sie sich und Henning stottert, als er angesprochen wird. Isa ist verwirrt, dass Henning sich so benimmt. Erik hat sich ja die ganze letzte Zeit schon ko misch benommen. Kurz blitzt der Gedanke in ihr auf, dass Erik was mit Henning hatte.
    Sie reden kurz über irgendwas Schulisches, dann kommt das Gespräch auf das große Thema, das Hen ning stadt umtreibt. Heute war wieder ein Bericht darüber in der Zeitung: Es gibt noch keine Spuren wegen des Mord versuchs im Schwulenm il lieu, und der Schüler schwebt noch immer in Lebensgefahr.
    Inzwischen ist sogar Erik aufgestoßen, dass die Be richt erstattung ziemlich scheiße ist. Womit er natürlich Recht hat. Erik regt sich auf. Eine Wunde am Oberarm kann überall herkommen, denkt Henning. Trotzdem ist er geschockt. Oder sagen wir erschrocken. Es passt gut zu sam men: Sie waren zusammen in der Kneipe, sind nach Hause, und am nächsten Tag war Lars im Krankenhaus. Und über den Friedhof geht man, wenn man zum Bus bahn hof will, als Abkürzung.
    Nachdem allseitig bekundet wurde, in verschiedenen Nuancen der Hysterie, wie schlimm die Sache sei, was sie ja auch zweifelsohne ist, fragt Isa Erik, ob ihm irgendwas aufgefallen sei an dem Abend. Nichts ist ihm aufgefallen, außer dass Lars sie angebaggert habe. Und zwar die gan ze Zeit.
    Isabell räkelt sich ein bisschen kokett und sagt: «Du hät test ja anrufen können, wenn du nicht willst, dass mich andere Männer ansehen.»
    Erik grinst und macht eine unwirsche Bemerkung.
    Henning erkundigt sich nach der Toilette, er findet den Wäschekorb dort vor und durchwühlt ihn. Die schmut zige Wäsche ist bereits vorsortiert.
    Wahrscheinlich sucht er ein T-Shirt. Es war ein warmer Abend. Das gesuchte Kleidungsstück mit Riss oder Loch und Spuren eingetrockneten Blutes ist nicht da.
    War auch nicht unbedingt zu erwarten, hätte aber sein können. Henning ist unschlüssig. Ehrlich gedacht, vor stel len könnte er es sich schon, und wenn nicht Lars der Leidtragende wäre, und wenn Lars nicht so unglücklich auf der Einfassung des Grabes aufgeschlagen wäre, wür de er das Vorgehen Eriks weder unerotisch noch unro mantisch finden. Ein scheiß-beschissener Unfall-Zufall.
    Die Küchentür steht offen. Henning wirft einen Blick rein. Niemand ist drin. Er geht zum Mülleimer, der sich wie vermutet unter der Spüle befindet und durchsucht ihn. Auch hier kein Fundstück. Wenn Erik das gesuchte Klei dungsstück verschwinden lassen wollte, hat Henning natürlich keine Chance. Als er wieder in Eriks Zimmer kommt, knutschen die jungen Liebenden und Henning macht, dass er davonkommt. Um die beiden nicht zu stö ren, wegen Isa, und um sich Erik gegenüber nicht ver hal ten zu müssen. Die zwei finden es auch nicht so schlimm, dass Henning schon gehen muss, und so gestaltet sich der Abschied kurz.
    Die Mülltonne steht neben dem Gartentor. Natürlich ist es Henning peinlich, von der Straße aus gesehen zu werden, und womöglich auch vom Haus aus. Er nimmt sich zusammen, öffnet die Mülltonne. Widerlicher Ge stank schlägt ihm entgegen. Er fasst eine trockene Ste ll e an und hebt sie hoch, so dass darunter liegendes sichtbar wird. Nichts. Henning stöhnt. Man muss wollen können, denkt er sich und greift beherzt zu. Es ist ekelhaft. An sei nen Händen klebt schleimiges irgendwas. Tatsächlich fin det er ein Stück Stoff. Er zerrt es hervor, und es entpuppt sich als das T-Shirt, das Erik an dem Abend angehabt hat. Als er es sieht, erinnert er sich wieder daran. Schnell zieht er es heraus und sucht nach einem Loch im Ärmel. Findet er auch. Der Ärmel ist eingerissen.
    «Was machen Sie denn da?», fragt ein Mann mittleren Alters. Henning zuckt zusammen. Offenbar Eriks Vater, der gerade nach Hause kommt. «Nichts, danke», sagt Hen ning, geht schnell los und sieht sich nicht um.
     
     
     
    84
     
    Henning
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