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Henkersmahl

Henkersmahl

Titel: Henkersmahl
Autoren: Bärbel Böcker
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dem Fenster und wusste nicht, was er von Fresemann halten sollte, diesem Fremden, der ihm gegenüber saß und der sein Vater war, aber je länger er ihm zuhörte, desto glaubwürdiger fand er seine Version der Geschichte im Grunde genommen. In jedem Fall geriet das negative Bild, das Marie-Louise jahrelang von seinem Vater gezeichnet hatte, ins Wanken. Die Wahrheit, oder das, was Florian jahrelang für die Wahrheit gehalten hatte, war plötzlich in zwei Hälften zerbrochen. Sein Blick kehrte zurück zu Fresemann. Er begann zu lächeln. Irgendwie war sein Vater ihm sympathisch.

     

44
    Gegen 16 Uhr verabschiedeten sich Florian und Jörg Fresemann, und zum allerersten Mal umarmten sie sich, etwas unbeholfen zwar, aber Florian konnte die Zuneigung, die von seinem Vater ausging, deutlich spüren. Die Verabredung für den kommenden Samstag war getroffen.
    Auf dem Nachhauseweg fragte er sich, wie es seiner Mutter in den letzten Tagen gegangen sein mochte. Er fühlte sich wirr und wie zerschlagen. Seine Rippen schmerzten nach wie vor, und in seinem Kopf geisterten Fetzen des Gesprächs mit seinem Vater herum. Zu Hause angekommen, legte er sich völlig erledigt aufs Sofa, und es dauerte nicht länger als zwei Minuten, da war er eingeschlafen. Irgendwann wurde er aus dem Tiefschlaf gerissen, es klingelte. Er schreckte hoch und horchte. Es hörte sich an, als ob jemand am Türschloss herumfummelte. Unwillkürlich griff er hastig nach der Pistole, die er unter die Tageszeitung geschoben hatte, aber das Rascheln des Papiers überdeckte jedes andere Geräusch und hinderte ihn an einer differenzierten Wahrnehmung. Florian spürte, wie sein Herz klopfte, und er schwer atmete. Die Pistole in der Hand, schlich er leise durch den Flur zur Tür und sah vorsichtig durch den Spion. Es machte sich tatsächlich jemand am Schloss zu schaffen. Florian überlegte einen Moment, dann riss er mit einem Ruck die Tür auf. Erstaunt ließ er die Pistole sinken und sagte: »Hallo, komm doch rein.«
    Curt taumelte zurück. »Ich dachte, du wärst nicht da. Ich habe ein paar Mal geklingelt.« Entgeistert starrte er Florian an, dann fiel sein Blick auf die Pistole.
    »Ich habe geschlafen«, antwortete er. »Hast du für solche Fälle immer einen Dietrich dabei?«
    Curt schüttelte den Kopf. »Rennst du immer gleich mit einer Pistole herum?«
    »Nein.«
    Beide mussten lachen.
    »Ich kann dir alles erklären.«
    »Hoffentlich.« Florian steckte die Pistole in die Hosentasche und führte Curt ins Wohnzimmer.
    »Wärst du nicht zu Hause gewesen, hätte ich hier drinnen auf dich gewartet. Ich muss mit dir reden. Hat Max mit dir über meine Mutter und meinen Onkel gesprochen?«
    »Du redest wirr.«
    »Mein Onkel, Paul Seeland, wurde umgebracht. Ein glatter Kopfschuss, es sollte aussehen wie Selbstmord, war aber Mord. Die Kripo ist sich sicher.«
    »Und was habe ich damit zu tun oder Max?«
    »Mein Onkel ist im Vorstand von ›Agrotecc Laboratories‹ und Chef der Entwicklungsabteilung von Chocolat Royal Suisse. Dort hat er sich in etwas hineingeritten, das ihn das Leben gekostet hat, und ich glaube, Max hat davon gewusst.« Curt sah Florian bedrückt an. »Im Grunde wäre mir das alles ziemlich egal, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass auch das Leben meiner Mutter in Gefahr ist.«
    »Wieso?«, fragte Florian unverhohlen neugierig.
    »Chocolat Royal Suisse hat doch diese Schokolade hergestellt, die unter Verdacht stand, die Krankheiten und Todesfälle auszulösen. Darin ist ein gentechnologisch verändertes Glutamatderivat enthalten, für dessen Nutzung Lizenzen fällig werden. Genau diese Lizenzen haben mein Onkel und meine Mutter veruntreut. Anstatt sie ›Agroteccs‹ Muttergesellschaft Frazer Chemicals in vollem Umfang zu überweisen, haben sie einen Teil des Geldes auf Luxemburger Konten transferiert. Die Sache ist aufgeflogen und mein Onkel sollte entlassen werden, aber der Vollidiot hat Frazer mit Polizei und Presse gedroht, falls sie ihn rausschmeißen.«
    Florian hob fragend die Augenbrauen.
    »Mein Onkel hatte inzwischen herausgefunden, dass die von ›Agrotecc‹ entwickelten gentechnisch veränderten Reben gesundheitsschädigend, ja tödlich sein können.«
    »Und die Presse, das war Max?«
    Curt nickte.
    F. W., Forschungsanstalt für Weinbau, dachte Florian.
    »Frazer schreckt vor nichts zurück. Das beste Beispiel ist mein Onkel. Die bringen die Leute einfach um«, sagte Curt.
    »Dein Onkel hat mich heute früh angerufen und die
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