Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
und haben kein Wort miteinander gesprochen und halten sich immer noch an der Hand, und
     Bruno geht schnell und Hendrikje tippelt in ihren weißen Sandalen neben ihm her, und Bruno lässt Hendrikjes Hand erst los,
     als er die Haustür aufschließt. Sie stehen im Flur und Bruno zieht seine Felljacke aus und hängt sie sorgfältig auf einen
     Bügel und hängt den Bügel an die Garderobe. Er sieht Hendrikje an und sagt ruhig: »Zu Bett.«
    |212| Sie gehen ganz ruhig ins Schlafzimmer und ziehen sich ohne sich anzusehen ihre Anziehsachen aus und legen sich hin und decken
     sich zu. Und küssen sich lange und lieben sich dann. Die beiden lieben sich so vorsichtig und sanft, als hätten sie Angst,
     sich kaputtmachen zu können dabei, und so geht’s ja auch.
    Und dann sind sie selig und wach wie nur was. Kein bisschen müde und teilen sich einen Zigarillo, und Bruno sagt zu Hendrikje:
     »Hol uns doch mal ein bisschen Wein aus der Küche.« Und Hendrikje lächelt beseelt und steht auf und geht nackt in die Küche
     und holt die Flasche mit dem Rotwein und zwei Gläser dazu. Und kehrt zurück ins Bett und dann liegen sie da und trinken den
     Wein.
    Und dann grinst Bruno: »Das ist alles Paulas Schuld.«
    »Paulas?«
    »Ja, denn wenn die dein Atelier nicht angezündet hätte, dann würdest du jetzt nicht hier liegen.«
    »Quatsch.«
    »Doch. Aber genau
so
und in
der
Reihenfolge!«, insistiert Bruno.
    »Du hättest nur mal den Mund aufmachen müssen im Café. Du hast ja nie was gesagt.«
    »Weil man mit dir nicht reden konnte.«
    »Jeder Gast hat mit mir reden können.«
    »Jeder Gast hat bei dir bestellen können.«
    »Du hast ja nicht mal bestellt. Du hast ja nur mit dem Kinn auf die Espressotassen gezeigt.«
    »Das wüsst ich aber!«
    »Ich weiß das.«
    »Gar nichts weißt du. Alles Paulas Schuld.«
    »Also Bruno, wenn du mir jetzt echt mit Paula kommst, wenn du echt drauf stehst, solche Kausalzusammenhänge zu basteln …«
    |213| »Mann, was du für Wörter kennst: Kausalzusammenhänge …«
    »Kausalzusammenhänge kenne ich länger als dich.«
    »Chapeau …!«
    »Wenn du echt darauf stehst, dann sage ich dir, wer wirklich schuld ist: Sugar Brown.«
    »Der nun wieder …«, stöhnt Bruno.
    »Ja. Vielleicht ist dir nicht entgangen, dass ich eine leichte Neigung habe, Sachen zu machen, die Sugar Brown empfiehlt.«
    »An sich nicht verkehrt.«
    »Eben. Und einmal schrieb Sugar Brown in einer Kolumne, dass Liebeskummer Körperverletzung ist.«
    »Ich erinnere mich.«
    »Ja. Und als Paula auf der Straße stand, heulend, da hatte sie nämlich ihr Freund rausgeschmissen und sie hatte Liebeskummer
     und deshalb, weil ich wusste: hier steht ein körperverletztes Mädchen vor mir, deshalb hab ich sie im Atelier schlafen lassen.«
    »Okay, Sugar Brown ist schuld«, seufzt Bruno und hält Hendrikje sein leeres Glas hin: »Lass da mal die Luft ’raus.«
    Und Hendrikje schenkt ihm noch mal Wein nach und fragt ihn: »Sag mal, wie hat dir denn eigentlich die Ausstellung heute gefallen?«
    »Die Oma hat mir am besten gefallen. Wie sie da so im Sessel schlief. Schön.«
    »Nee, Bruno, die hat nicht geschlafen. Die war tot, das war Omis Leiche, die ich da gemalt habe.«
    »Das hab ich aber nicht gemerkt.«
    »Ja, dann ist es aber kein gutes Bild. Man soll doch sehen, dass es ein Leichnam im Sessel ist.«
    »Ja, einen Leichnam hast du aber nicht gemalt.«
    »Ja, wie denn auch. Ich hatte Bleistiftskizzen von der Omi |214| gemacht, also von ihrer Leiche, und die sind ja auch im Atelier verbrannt.«
    »Sugar Brown ist schuld.«
    »Also nee, Bruno, das kannste jetzt aber echt nicht so sagen.«
    »
Du
hast das mit den Kausalzusammenhängen gesagt!«
     
    Dieses Gespräch geht noch bis tief tief in der Nacht immer so weiter. Bis der Wein ausgetrunken ist und Bruno gerne will,
     dass das Licht ausgemacht und geschlafen wird. Und Hendrikje liegt noch lange wach in Brunos weichen Armen und überlegt, ob
     Bruno wirklich so ein toller Kunstführer ist, wenn er nicht mal sieht, dass die Omi tot ist. Muss sie dann doch noch mal Rothwein
     nach fragen. Und schläft.
     
    Ende Januar sagt Rothwein, das sei doch gerade die schöne Ambivalenz, dass man nicht wüsste, ob die Oma noch schläft oder
     schon tot ist, man wüsste es halt nicht genau, und das würde ihm gerade gefallen, und er zahlt Hendrikje 6000 Euro aus, die
     sie mit ihren Bildern verdient hat.
Verdient
, da sind die Prozente für Rothwein schon runter. Das ist ein Anfang.
    Im Februar
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher