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Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen
Autoren: dtv
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bisschen Mühe
     macht und die Sachen hochschleppt und wieder runter, dann riecht die Wäsche unheimlich gut. Aber was ist mit Licht?«
    »Das Licht da oben ist wie das Wetter.«
    »Scheiße. Wir sind in Hamburg. Und es ist schon August.«
    »Also noch zehn Tage bis zur dunklen Jahreszeit.«
    »Genau.«
    »Scheinwerfer. Halogenscheinwerfer. Ist wie Sonnenlicht. Stellen wir Reflektoren auf.«
    »Wie beim Fotografen.«
    »Genau.«
    »Ich geh jetzt erst mal rüber zu Goebbels und hol mir meinen Job zurück.«
    »Du spinnst.«
    »Ich spinne nicht. Man muss Goebbels nur zu nehmen wissen.«
    »Nee, das mein ich nicht. Du hast keine Zeit für Goebbels |196| , das mein ich. Du musst drei Liebesakte malen und die Eisenbahnbrücken variieren.«
    »Bruno, ich habe einhundertundzehntausend Euro Schulden.«
    »Einhundertundelf.«
    »Wieso?«
    »Weil ich für tausendundfünfzig Euro Farben gekauft habe.«
    »Na sag ich doch, ich hol mir meinen Job zurück.«
    »Ja, wenn die Liebespaare und die Eisenbahnbrücken fertig sind, dann. Du hast so viele Schulden, da kommt es jetzt auf ein
     paar hundert Euro mehr nicht an. Besser du verkaufst bei Rothwein im Januar zwei Bilder, dann hast du genauso viel verdient,
     wie du im Café kriegen würdest. Aber wenn du jetzt zu Goebbels gehst, hast du im Januar keine Bilder zu verkaufen.«
    »Auch wieder wahr.«
    »Sag ich doch.«
     
    Und so machen sie es dann auch. Mit zwei Taxis bringen sie am nächsten Tag die Bilder, die Hendrikje im Gefängnis gemalt hat,
     zu Rothwein. Und dann arbeitet Bruno morgens in seinem Arbeitszimmer, führt nachmittags fremde Leute durch die Kunsthalle
     und am Abend gibt er noch manchmal einem Blankeneser Gymnasiasten Nachhilfe in Mathematik, und Hendrikje steht auf dem Wäscheboden
     zwischen Reflektoren bei Kunstlicht und malt, wie wenn es Tageslicht wäre. Und abends kochen sie sich und erzählen sich was,
     und sie haben sich viel zu erzählen, weil ihre Tage so voll sind und das muss ja dann auch mal raus, und am Sonntag ruhen
     sie sich aus oder machen einen kleinen Ausflug zur Alster oder bummeln die Lange Reihe hoch, und das reicht ihnen dann auch
     gleich wieder.
    |197| So vergeht der August und der September erst recht, der Oktober verschwindet, es dämmert gefährlich November.
     
    Hendrikje hat fünf Variationen von Eisenbahnbrücken, welche, die sich im Elbwasser spiegeln, und welche, die im Nebel verschwinden.
     Rostige Eisenbahnbrücken und zerbrochene, die die Köpfe ins Wasser neigen wie Schwäne. Und das ist Mist, weil Eisenbahnbrücken,
     die sich so anmutig ins Wasser neigen, keine Eisenbahnbrücken mehr sind, die an den Krieg erinnern und das ist schließlich
     ihr Markenzeichen. Da fängt sie noch mal von vorn an und knickt die Brücken noch mal neu. Wenn die Omi, denkt Hendrikje, das
     Ding nicht in der Wohnung haben will, dann ist es gut, und dieses Ding nun, diese einstmalige Eisenbahnbrücke in Öl, die hätte
     die Omi nicht haben wollen, so viel ist sicher. Die Brücke ist schon unten und die Schienen staken noch hoch in den Himmel:
     So was mag die Omi nicht, sehr schön.
    In der Nacht liegt Hendrikje auf Brunos Sofa zwischen den Bücherregalen, überlegt sich Liebespaare und weiß überhaupt nicht,
     wie sie in acht Wochen noch drei Liebeskriege malen soll, wo sie sich schon gar nicht mehr erinnern kann, wie das ging mit
     der Liebe und dem Krieg. Und wenn sie anderntags auf dem Dachboden sitzt, da lässt sie die Scheinwerfer aus und zündet sich
     Kerzen an und denkt an Ernst, wie er vom Dach fiel und wie er unten lag, und wie er ihr prophezeite, dass das mit ihr nichts
     mehr werden würde, nicht als Malerin und nicht als Frau, und wie er die Kacheln, die nichts taugten, die billigen, in die
     Wohnung bringen ließ von den Handwerkern und ihr Badewasser ungefragt aus der Wanne ließ, damit die hörten, wie der Ausguss
     schnorchelt, und dann geht’s doch. Dann malt sie bei Kerzenlicht, und wenn sie am nächsten Morgen bei echtem Hamburger |198| Tageslicht sieht, was sie am Abend zuvor
so
gemalt hat, dass man es bei Kerzenlicht erkennen kann, dann staunt sie manchmal selbst: Wie der Stahlblaue die Frau am Handgelenk
     packt und von hinten nimmt, die davon ganz rubinlila wird und ein Gesicht macht, als kriegte sie ein Kind, und wie sie ein
     Bild weiter kein Gesicht mehr hat. Schön. Das ist eine Vergewaltigung, aber kein Liebeskrieg. Also alles noch mal, genauso
     kräftig, nur ein bisschen subtiler bitte und etwas ambivalenter.
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