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Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen
Autoren: dtv
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wissen will. Sie dreht
     sich noch einmal um, zögert einen Augenblick und sagt: »Darf ich Sie auch mal was fragen?«
    |187| »Bitte.«
    »Sie haben ehrlich sehr schöne Haare.«
    »Oh, vielen Dank.«
    »Ja, und ich überleg die ganze Zeit, was Sie wohl alles essen müssen, damit Ihre Haare diesen unvorstellbaren Glanz kriegen.«
    Die Palmenberg schaut Hendrikje an, als habe sie sie gefragt, welches Verhütungsmittel sie nimmt, und Hendrikje merkt das
     und sie bereut ihre Frage zutiefst. Natürlich fragt man eine Dame wie die Palmenberg nicht, welches Verhütungsmittel sie benutzt,
     da hätte sie auch von selbst draufkommen können …
    »Ich esse gar nichts«, antwortet die Palmenberg langsam. »Ich wasche mir jeden dritten Morgen die Haare und öle sie am Abend
     vorher mit Olivenöl ein. Das macht den Glanz. Und über die Nacht wickele ich mir dann natürlich ein Baumwolltuch um den Kopf.«
    »Das heißt«, überlegt Hendrikje, »Sie müssen jeden dritten Abend mit einem Turban ins Bett?«
    »Ja, Hendrikje«, bestätigt die Palmenberg mit strapazierter Geduld, »das heißt es.«
    Und Hendrikje lässt ihr das letzte Wort, bedankt sich mit einem Lächeln und geht hinaus.

|188| 14
    Es ist neun Uhr in der Früh und Bruno holt Hendrikje ab. Er wartet draußen vor dem Gefängnistor, das sich automatisch langsam
     öffnet, und ehe er Hendrikje sehen kann, kann er sie hören.
    »Scheiße!«, flucht Hendrikje laut. »Verdammte Hurenscheiße!« Denn sie schleppt einen Koffer und drei mit Bindfaden umwickelte
     Pappkartons, von denen sie aber immer nur zwei gleichzeitig tragen kann, und wie sie auch umbaut, greift, die Finger unter
     die schmerzhaft einschneidenden Bindfäden zwängt oder die Kartons unter den Arm drückt und mit der Hüfte fixiert: Ein Pappkarton
     flutscht immer weg und knallt aufs Straßenpflaster, so dass Hendrikje genötigt ist, den dritten Karton mit Fußtritten vor
     sich her zu treten, anders geht es nicht.
    Also nimmt Bruno ihr den Koffer ab und trägt ihn für sie, und sie kann bequem ihre drei Pappkartons tragen.
    Es ist August und warm und die Sonne scheint, die Luft ist frisch und die Bäume sind grün, und zwar üppig grün, und die beiden
     überqueren ein Alsterbrückchen und steigen in Ohlsdorf in die U-Bahn und fahren rein nach Hamburg und gucken aus dem Fenster
     und schweigen. Und steigen extra mit dem ganzen Gepäck an der Kellinghusenstraße um, nur damit sie oben weiterfahren können
     und nicht unterirdisch reisen müssen. Über den Eppendorfer Baum und dann die |189| Isestraße längs, und da ist gerade Markt, wobei man von der Bahn aus aber nur die Rückseiten der Büdchen sieht.
    Es ist noch nie darüber gesprochen worden zwischen den beiden, wohin nun Hendrikje eigentlich geht, jetzt, wo die Miete nicht
     mehr bezahlt ist und Gudrun allein auf Stube liegt, aber Hendrikje denkt an nichts anderes. Am Hauptbahnhof ist Endstation,
     und sie fahren schon an den Landungsbrücken längs, und das im August.
    Nein, sie wird Bruno jetzt um nichts mehr bitten, denkt Hendrikje, das würde zu weit gehen. Und als sie am Hauptbahnhof aussteigen,
     da trägt Bruno einfach ihren Koffer zu sich nach Hause, und Hendrikje läuft ihrem Koffer hinterher. Aber als sie vor Brunos
     Tür ankommen, und er die paar Stufen zum Eingang hochgeht, da bleibt Hendrikje auf dem Bürgersteig stehen und schüttelt den
     Kopf. »Bruno, das geht jetzt echt zu weit.«
    Bruno bleibt stehen, dreht sich um zu ihr und sagt ruhig: »Wie du willst.«
    Hendrikje nickt und Bruno stellt den Koffer auf dem Boden ab und wartet.
    Hendrikje steht unten und versucht, die drei mit Bindfaden verschnürten Pappkartons mit einer Hand an eben jenen Bindfäden
     zu greifen, um die andere Hand für den Koffer frei zu machen. Bruno schaut ihr geduldig dabei zu, wie man etwa einem Hund
     zuschaut, der eine halbe Stunde lang nicht aufhört, seinen eigenen Schwanz zu jagen, denn es ist ein aussichtsloses Unterfangen.
     Die Kartons nehmen sich natürlich gegenseitig den Platz weg, kein Mensch kann sie alle drei an ihren Bindfäden mit einer Hand
     greifen.
    »Das ist, Hendrikje«, räsoniert Bruno, »die Dreidimensionalität der Dinge, die dir da in die Quere kommt …«, und Hendrikje
     flucht: »Ach quatsch doch nicht, Bruno, ich kenne mich sehr gut aus mit der Dreidimensionalität der |190| Dinge!« Und greift den dritten Karton mit dem Zeigefinger der Hand, deren andere Finger bereits die beiden anderen Kartons
     halten, weswegen die
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