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Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen
Autoren: dtv
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»Aber ich brauche
     keine Staffelei und auch keine Palette, denn ich steh ja nicht an der Seine.«
    Bruno nickt.
    Hendrikje knallt ihm einen 50-Euro-Schein auf den Tisch. »Das ist nur eine Anzahlung. Dafür kriegst du nicht viel. Und ich
     kann nicht sehr lange warten, sonst läuft mir nämlich die Zeit hier weg.«
    Bruno nickt lange und bedächtig, steckt langsam das Geld ein und schaut Hendrikje freundlich an: »Nach Paris. Stell schon
     mal den Antrag.«
    Und Bruno geht und fährt mit seiner Reisegruppe nach Paris und führt die durch den Louvre und das hat der Louvre echt gut
     organisiert, denn die lassen immer nur dreißig Personen auf einmal in einen Ausstellungssaal, damit man auch was sieht und
     nicht vor lauter Menschenauflauf keine Bilder mehr erkennen kann. Und er fährt über die Seine, und dieses Touristen-Candle-Light-Dinner
     ist superb und exquisit, ein Gaumenschmaus vom Allerfeinsten, viel besser, als |182| er dachte. Und Hendrikje bindet Doktorarbeiten und das Programm der Volkshochschule und erträgt Gudrun mit ihren Magengeschwüren
     und liest jeden Tag die Sugar-Brown-Kolumne von gestern.
    Und Bruno sieht morgens um sechs auf dem Montmartre zu, wie die Kellner in langen weißen Schürzen mit Gartenschläuchen die
     Straßen sauber spritzen und dann die Cafétische und Stühle auf die frisch gewaschene Straße stellen und dann trinkt er zum
     Frühstück
café noir
und isst
croissants
dazu, und die Reisegruppe ist nett und lässt ihn in Ruhe und abends sitzt er bei Pina Bausch und ist’s zufrieden.
    Und Hendrikje bindet Gedichtbände und Jahresalmanache und lässt sich noch mal von Gudrun die Spitzen schneiden und sitzt bei
     der Palmenberg und schweigt sich aus. Und als die Palmenberg wissen will, warum sie so schweigsam ist, da antwortet Hendrikje:
     »Ich denke nach.«
    »Worüber?«
    »Über meine Arbeit.«
    Und die Palmenberg lässt das jetzt einfach mal so stehen.
     
    Und dann kommt Bruno zurück aus Paris und lässt 160 Euro bei Gustav Jerwitz im Kleinen Schäferkamp und fährt mit einem Karton
     voller Terpentin, Leinwand, Holz, Pinsel und Farben ’raus nach Fuhlsbüttel, und Hendrikje fällt ihm glatt um den Hals, wegen
     der großen Freude, die er ihr da bereitet. Und Bruno erzählt Hendrikje bei einem Espresso aus dem Automaten, dass das sogenannte
     Candle-Light-Dinner auf der Seine eine kulinarische Katastrophe, eine Touristen-Verarschung war und dass man im Louvre vor
     lauter Menschenauflauf kein einziges Bild habe sehen können, dass Paris dreckig ist und dass Pina Bausch sich ja eigentlich
     mittlerweile selbst kopiert. Denn warum sollte man Hendrikjes Herz mit der Wahrheit beschweren? Und Hendrikje lächelt |183| tapfer und denkt: genau so reden Männer, wenn sie mit langbeinigen Blondinen in Paris waren, aber mach was.
    Und dann bedankt sie sich noch mal bei Bruno, und Bruno geht, und Hendrikje geht auch und baut sich Leinwände in der Buchbinderei,
     wo man ihr sogar extra ein Eckchen frei macht zum Malen.
    Und dann malt Hendrikje. Die nackte Gudrun als feenhafte Schöne, hingegossen auf einer riesigen Orchideenblüte und mit einer
     großen, blutigen Schere in der Hand.
    Und sie malt die neongrünen Gesichter mit den lila Lippen im Speisesaal an breiten Tischen, die sich gegenseitig mit langen
     Gabeln mit den Heringsköpfen in Kabeljaublau aus ihren Bleinäpfen füttern. Und als sie zur Palmenberg in die Stunde kommt,
     da riecht sie endlich wieder wie sie selbst: nach Terpentin, und hat ein bisschen Ockergelb an der Backe.
    Die Palmenberg ist erfreut, Hendrikje so zu sehen und lächelt sie an: »Malen Sie wieder?«
    Hendrikje nickt.
    »Das freut mich für Sie.«
    »Ja, mich auch«, lächelt Hendrikje.
    »Wie haben Sie sich Material besorgt?«
    »Ooch …«
    »Braucht man nicht eine ganze Menge Zeug?«
    Zeug …
    »Ach … ja schon.« Hendrikje muss sich räuspern. Vielleicht sollte sie mal die Palmenberg fragen, was die alles für
Zeug
braucht. »Bruno war so freundlich, mir ein paar Farben zu besorgen.«
    »Oh, dann war Bruno noch einmal hier und hat Sie besucht?«
    »Er hat Farben vorbeigebracht.«
    »Selbst vorbeigebracht?«
    |184| »Jahaa.«
    »Das ist aber sehr schön …«
    Aha. Das ist es also, was die Palmenberg von mir denkt, denkt Hendrikje, dass es
sehr schön
ist, wenn der doofe Bruno mich besucht, weil sie natürlich nicht weiß, dass Bruno so doof nun auch wieder nicht ist. Aber
     für mich muss es natürlich reichen, wenn der doofe Bruno mich besucht.
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