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Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen
Autoren: dtv
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ein Kellner mit einem Tablett voller Prosecco-Gläser
     vorbeikommt, nimmt er zwei Gläser und stratzt beherzt zu den beiden hin. Er baut sich vor ihnen auf, hält Hendrikje eins der
     beiden Gläser hin und ignoriert Dieter einfach. Er holt tief Luft, um etwas zu sagen, aber so weit kommt er dann gar nicht,
     denn lachend nimmt Hendrikje ihm auch noch das andere Glas ab, gibt es Dieter und zieht den fröhlich plappernd weiter zum
     nächsten Gemälde. Und Bruno steht da wie vom Donner gerührt.
    Hendrikje und Dieter prosten sich zu, nippen am Prosecco, schauen sich tief in die Augen und dann schiebt Hendrikje Dieters
     Jacke ein bisschen von seiner Schulter, was der sich lächelnd gefallen lässt, um nachzusehen, ob da immer noch auf seinem
     Oberarm die
True Love
segelt, die ihr und Paula gehört, und sie segelt noch immer und Hendrikje pflanzt einen dicken Kuss darauf.
    Auch Bruno hat das Segelschiff gesehen. Daher weht also der Wind! Das ist also das Segelschiff, dessentwegen er in das von
     der Polizei abgesperrte Abbruchhaus in Altona eingebrochen ist, dessentwegen er unbedingt nach Fuhlsbüttel fahren musste,
     um es persönlich vorbeizubringen, das also ist sie, die ›
True Love
‹.
    |210| Als Dieter und Hendrikje ihre Runde gemacht haben, gesellen sie sich wieder zu Paula und im Menschengewühl ruft Hendrikje:
     »Bruno, hast du das gehört, was Lisa mit Dieter gemacht hat? Darf ich dir Dieter …? Bruno?« Jetzt dreht Hendrikje sich völlig
     von allein um die eigene Achse und sucht Bruno, den sie nirgendwo sieht.
    »Der ist gerade ’rausgegangen«, sagt Paula, und Hendrikje lässt Paula und Dieter stehen und marschiert raus auf die Straße.
     Und die Straße ist leer. Hendrikje geht wieder zurück in den hell erleuchteten Saal und guckt sich um und Paula schüttelt
     den Kopf und macht ihr Zeichen mit der Hand: »Draußen, der ist ’rausgegangen!« Und Hendrikje geht noch mal raus und schaut
     nach links und schaut nach rechts, und die Straße ist menschenmenschenleer.
    Hendrikje ruft: »Bruno!« Keine Antwort. Sie bewegt sich nach rechts zum Rödingsmarkt, und der ist leer. Sie sieht hoch zur
     hell erleuchteten U-Bahn-Station und rennt los und über die Straße und rein in die U-Bahn-Station und die erstbeste Treppe
     hoch und auf den Bahnsteig ’raus und ruft immer nur: »Bruno!« und noch einmal »Bruno!« und es hallt in den Hallen. Sie kommt
     an auf dem Bahnsteig oben und gegenüber, getrennt von doppelten Gleisen, da steht Bruno auf dem anderen Bahnsteig in seiner
     Felljacke und guckt sie nicht mal an. Jetzt darf bloß keine Bahn kommen, denkt Hendrikje und rennt die Treppe wieder runter
     und unten auf der anderen Treppe wieder hoch, und sie hat Glück, denn es kommt keine Bahn.
    »Bruno«, keucht sie ganz außer Atem, als sie ihn endlich erwischt und erreicht. »Was biste denn plötzlich weg?«
    Bruno ist nicht amüsiert, wirklich nicht. Er steht da und raucht und schaut Hendrikje nicht an und grummelt sich finster in
     seinen Bart: »Ich an deiner Stelle würde mich ja um meine Gäste kümmern.«
    |211| Hendrikje friert plötzlich sehr, in ihrem Pannesamtminikleidchen im Januar, aber diesmal legt Bruno ihr nicht seine Felljacke
     über die Schultern.
    »Bruno«, sagt Hendrikje und friert, »das
mach
ich gerade! Du bist doch der wichtigste Gast von allen.«
    »Ach was!?« Bruno sieht nur geradeaus und Hendrikje nicht an.
    »Mensch Bruno«, sagt Hendrikje, »erst Paula und dann Dieter, das musste doch verstehn, dass mich das erst mal umhaut.« Hendrikje
     hat die Arme übereinander verschränkt und zittert, weil es echt kalt ist im Januar in Hamburg bei Nacht, und da kommt die
     Bahn, die U3, die immer so einen eleganten Winkel fährt, wenn sie beim Rödingsmarkt einfährt, und Bruno verzieht keine Miene
     und sieht echt nicht aus, als wäre er leicht zu versöhnen. Aber die Bahn kommt.
    Und so stellt sich Hendrikje vor ihn hin, und Bruno verzieht keine Miene, und um sie nicht ansehen zu müssen, kneift er sogar
     die Augen zu. Und Hendrikje schließt auch ihre Augen und küsst ihn auf den Mund. Lange, damit er nicht wegläuft. Und als sie
     aufhört, da nimmt er sie mit ganz unbewegter Miene, er sieht wirklich genauso grimmig aus wie vor dem Kuss, bei der Hand und
     steigt mit ihr in die Bahn. Und dann sitzen sie nebeneinander und sehen sich nicht an und halten sich bei den Händen, und
     Bruno legt ihr nicht seine Jacke um die Schultern. Heute nicht.
    Und sie steigen aus am Hauptbahnhof
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