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Heldin wider Willen

Heldin wider Willen

Titel: Heldin wider Willen
Autoren: Elizabeth Moon
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ich zu viel über die Familie nachdenke. Ich soll meine eigenen Maßstäbe ent-622
    wickeln, sagt er, und mich danach beurteilen. Er hatte ja auch nie eine Großmutter wie meine.«
    »Oder einen Großvater wie meinen«, sagte Esmay. »Aber ich verstehe, worauf er abzielt. Würde es helfen, wenn dir deine Großmutter sagte, du hättest alles getan, was du konntest?«
    Barin seufzte. »Im Grunde nicht. Ich habe darüber nachgedacht, und ich weiß, was ich denken würde, falls sie es täte: Der arme Barin, muss ihn aufmuntern, ihm wieder auf die Sprünge helfen. Ich möchte aber nicht der ›arme Barin‹ sein. Ich möchte der sein, der ich war. Vorher.«
    »Das funktioniert nicht«, erklärte Esmay aus langer Erfahrung. »Das ist der eine Ansatz, der nicht funktionieren wird.
    Man kann nicht wieder sein, wer man war; man kann sich nur zu jemand anderem weiterentwickeln, jemandem, mit dem man
    leben kann.«
    »Ist das unsere ganze Hoffnung, Es? Nur … etwas Akzeptables?« Einen Augenblick lang betrachtete er finster das Deck; dann blickte er wieder auf und zeigte mehr von einem Serrano, als Esmay eine ganze Weile lang gesehen hatte. »Ich bin nicht froh darüber. Falls ich mich ändern muss, fein: Ich werde mich ändern. Aber ich möchte jemand sein, den ich respektieren und mögen kann – nicht nur jemand, mit dem ich es aushalte.«
    »Ihr Serranos habt hohe Maßstäbe«, sagte Esmay.
    »Na ja … Hier läuft schließlich diese Suiza herum, die mir ein Beispiel gibt.«
     
    Ein Beispiel. Sie wollte nicht die sein, die ein Beispiel gab; sie war nie in der Lage gewesen, einem Beispiel gerecht zu 623
    werden. Neue Einsichten stürzten sich auf diesen Gedanken, wendeten ihn von innen nach außen, zerrten ihn unter einer imaginären Sonne ans Licht. Als Kind hatte Esmay die Leute nachgeahmt, die sie liebte und bewunderte; sie hatte versucht, jemand zu werden, den sich diese Menschen wünschten, so weit sie das zu verstehen glaubte. Dort, wo sie gescheitert war, hatte es nicht nur an ihr gelegen – und im größeren Kontext der Flotte und der Regierenden Familias war sie nicht mal im Wortsinn gescheitert.
    Bei der Flotte schien man zu denken, dass sie ein akzeptables Beispiel gegeben hatte. Jetzt, wo die Koskiusko zu ihren Geleitschiffen zurückgekehrt war, vernahm Esmay Gerüchte von den Reaktionen höheren Ortes. Ihre Gedanken klärten sich Stückchen für Stückchen nach der Düsternis, die zu Beginn der Therapie geherrscht hatte … sie erkannte, dass Pitak und Seveche nicht einfach eine Schwäche tolerierten, aus der heraus sie eine Therapie benötigte; sie wollten, dass sich Esmay die Zeit nahm, die sie brauchte. Die Ensigns und Jigs, die mit ihr im Kasino zu Tisch saßen, behandelten sie mit genau der
    respektvollen Aufmerksamkeit, in der Esmay nach lebenslanger Erfahrung im Militär echte Zuneigung erkannte.
    Sie mochten sie. Sie mochten sie, sie respektierten sie und nicht ihren Ruhm oder ihre Herkunft. Sie war die einzige Suiza, die einzige Altiplanerin, der irgendjemand von ihnen je
    begegnet war, und sie konnten sie gut leiden. Und das mit Grund, fand Annie, als Esmay ihre Verlegenheit gestand, ihre Verwirrung. Langsam lernte sie es zu glauben; die Erfahrungen jedes Tages legten eine dünne Glasur des Glaubens über die Selbstzweifel.
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    Hin und wieder betrachtete sie das mechanische Pferd in der Turnhalle und überlegte. Sie hatte Annie noch nicht erzählt, dass dieser Apparat sie allmählich richtig heimsuchte. Das war etwas, woraus sie allein schlau werden musste. Automatisch pickte ihr Verstand jetzt diesen Gedanken auf und spielte damit herum. Sollte sie es leugnen? Nein – aber das war etwas, was sie allein aufarbeiten wollte. Eine Entscheidung, die sie treffen würde, wenn sie die Freiheit fand, sie zu treffen.
    »Ich könnte mich an das alte Mädchen gewöhnen«, sagte
    Esmay und blickte durch die Aussichtsluken hinaus auf die Lichtmuster an T-l und T-5. »Sie ist ein erstaunliches Schiff.«
    Sie und Barin hatten einen stillen Winkel in der Freizeitsektion gefunden; der Club war an der Kletterwand beschäftigt, und Barin hatte Esmay gestanden, dass er auch nicht mehr an der Kletterei interessiert war als sie. Sie fand, dass er inzwischen viel besser aussah; sie wusste, dass sie selbst sich besser fühlte
    … sie hatte seit zwanzig Tagen keine Albträume mehr gehabt und hoffte, dass sie für immer der Vergangenheit angehörten.
    »Hast du vor, dich um eine Versetzung ins Wartungskom—
    mando zu
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