Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heldin wider Willen

Heldin wider Willen

Titel: Heldin wider Willen
Autoren: Elizabeth Moon
Vom Netzwerk:
Erleichterung schien niemand
    mehr von ihr zu erwarten als Routinearbeit, obwohl Personal-mangel an Bord herrschte. Pitak übergab ihr endlose Listen von Inventar, das zu sichten war, und von Fortschritten bei der Reparatur der Wraith, die in die Datenbank einzugeben waren.
    Esmay spürte vage, dass das alles alltägliche Büroarbeiten waren, die sonst eher einem Pivot oder Corporal übertragen wurden, aber sie empfand keinen Groll darüber. Die einfachen Aufgaben nahmen sie voll in Anspruch, hielten sie beschäftigt.
    Welche Energiewoge auch immer sie quer durchs Schiff
    getrieben, an Bord des feindlichen Fahrzeugs und in die
    Schlacht – sie war verebbt. Jemand anderes konnte sich
    ausrechnen, wie man die Koskiusko wieder in den Raum der Familias steuerte, zurück in das Aufmarschgebiet der übrigen Flotte. Jemand anderes konnte sich den Kopf über die Reparatur 608
    der Wraith zerbrechen, über interne Schäden, sogar über Verluste. Esmay brachte kein Interesse daran auf.
    In der nächsten Sitzung ertappte sich Esmay wieder dabei, wie sie die eigene Familie verteidigte. »Sie haben es nicht verstanden«, sagte sie.
    »Sie hatten Albträume. Sie haben so viel geschrien, sagten Sie, dass die Familie Sie in die hinterste Ecke des Hauses verbannte …«
    »Es war keine Verbannung …«
    »Wenn ein Kind allein schläft, so weit von allen anderen entfernt? Ich nenne das Verbannung. Und Sie hatten Ver-
    änderungen gezeigt, die die meisten Erwachsenen als Reaktionen auf Stress erkennen würden. Nicht wahr?«
    Seb Coron hatte erzählt, dass sie gern geritten war, bis nach dem Vorfall. Sie war extrovertiert gewesen, überschwänglich, eifrig, abenteuerlustig… aber alle Kinder entwuchsen
    schließlich den einfachen Freuden der frühen Kindheit. Sie versuchte das Annie zu erklären, die aber beharrlich mit anderen Deutungen konterte. »Wenn sich das Verhalten eines Kindes plötzlich ändert, liegt immer ein Grund vor. Allmähliche Veränderungen bedeuten weniger – neue Erfahrungen können dazu führen, dass neue Interessen an die Stelle der alten treten.
    Aber eine plötzliche Veränderung bedeutet etwas, und die Familie eines Kindes sollte sie eigentlich bemerken und nach dem Grund suchen. In Ihrem Fall kannte die Familie allerdings den Grund schon.«
    »Aber es hatte nichts damit zu tun … Sie sagten, ich wäre einfach faul geworden.«
    609
    »Kinder werden nicht ›einfach faul‹. Mit einem solchen
    Etikett sind Erwachsene rasch bei der Hand, wenn ihnen ein bestimmtes Verhalten nicht gefällt. Zuvor hatte Ihnen das Reiten Spaß gemacht… Dann haben Sie damit aufgehört und sogar
    vergessen, dass Sie jemals Spaß daran hatten. Und da denken Sie, es hätte nichts mit der Vergewaltigung zu tun?«
    »Ich… denke, womöglich doch.« Ihr ganzer Körper zuckte.
    »Wissen Sie noch, ob die Vergewaltigung in einem Gebäude oder im Freien passiert ist?«
    »Alle Häuser waren zerstört… zumindest teilweise. Ich hatte eine Ecke gefunden … die größer war als ich, wenn auch nur wenig … da war … war Stroh, und ich bin hineingekrochen.«
    »Wonach hat es gerochen?«
    Esmay stockte wieder der Atem … ein Hauch dieses Geruchs, nicht von dem Rauch, sondern dem anderen Geruch, wehte
    durch ihre Gedanken. »Einer Scheune«, sagte sie so leise, dass sie sich kaum selbst hörte. »Es war eine Scheune. Sie roch wie die zu Hause …«
    »Wahrscheinlich waren Sie deshalb dort; die Nase hat Sie zu einer Stelle geführt, die Sie nicht vor Angst schier wahnsinnig machte. Dort also, an einem Platz, den Sie für sicher gehalten hatten – vergessen Sie nicht: Gerüche wirken direkt auf das Gefühlszentrum des Gehirns –, wurden Sie auf die fürchterlichs-te Art und Weise von jemandem überfallen, dessen Uniform Ihnen zuvor ein Gefühl der Sicherheit vermittelt hatte. Kann es da verwundern, dass es Ihnen später zuwider war, Ställe
    auszumisten?«
    610
    Wieder völlige Verblüffung. »Ich war nicht einfach nur faul«, sagte Esmay und glaubte es beinahe schon. »Und ich hatte auch nicht einfach nur Angst vor herumlaufenden Pferden …«
    »Nein – Ihre Erinnerung machte Ihnen präzise klar, dass
    Scheunen nicht wirklich sicher waren, dass Ihnen böse Dinge widerfahren konnten, wenn Sie in einer Ecke festsaßen. Ihr Gehirn hat ausgezeichnet funktioniert, Esmay, und versucht, Sie aus Gefahren herauszuhalten.«
    Obwohl es die Ohren hörten, leugnete es der Verstand. »Aber ich hätte fähig sein sollen …«
    »Hoppla!« Annie hob
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher